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Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Titel: Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Hasler
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auch fast das Leben einer Witwe. Ihr Mann, der Hofrat von Schattenbach, ist dreißig Jahre älter als sie, und sie sieht ihn so gut wie nie. Sie hat ein stattliches Vermögen, aber anstatt es auf der Ringstraße zu verprassen wie ihre Standesgenossinnen und in den teuren Konditoreien Kuchen zu essen und fett zu werden, verbringt sie ihre Zeit lieber hier. Immer allein, immer in Schwarz.“
    „Woher wissen Sie das alles, Kranzer?“
    „Ich bin Wiener. Wiener tratschen gern.“
    „Gibt es noch mehr solche Gestalten im Museum, über die ich Bescheid wissen sollte?“
    Kranzer blieb stehen und schüttelte den Kopf. „Jetzt, wo Sie es sagen – eigentlich nicht. In diesem ganzen großen Museum gibt es nur den Grimminger und die Schattenbach, die so oft hier sind und die … na ja, wie soll ich sagen …“
    „… ein Geheimnis umgibt?“
    Als Pawalet das sagte, verengten sich seine Augen, und einen winzigen Moment lang war Kranzer sich sicher, dass er es wusste. Doch dann verschloss sich das Gesicht des Neuen, und er wandte sich wieder den Gemälden zu. Sie standen im Tizian-Saal. Kranzer schwitzte und fühlte sich gereizt. Er würde nach diesem Rundgang einmal mit dem Direktor über Pawalet reden müssen. Der Kerl war ihm nicht geheuer. Doch dann dachte er mit einer gewissen Erleichterung, dass Grimminger und die Schattenbach sich schon um Julius Pawalet kümmern würden, wenn er zu neugierig werden sollte. Sie würden sein Leben belasten wie Mühlsteine und ihn auf den Grund des Sees ziehen, wo es nichts mehr zu glotzen gab.
    ***
    Kranzer gähnte so herzhaft, dass Julius Pawalet seine schlechten braunen Backenzähne und die Speisereste dazwischen sehen konnte. Es war noch früh am Vormittag, aber der erste Rundgang war vorüber. Viel hatte er dabei nicht gelernt, dachte Julius etwas enttäuscht. Sein neuer Vorgesetzter hatte sich nicht sonderlich viel Mühe gegeben, etwas zu erklären, sondern nur fahrig und zerstreut auf die unterschiedlichen Themen der Räume verwiesen und ihm gezeigt, wann und wo er seinen Rundgang zu machen hatte. Nun, dachte Julius, dann werde ich mir den Rest eben selbst aneignen müssen. Der Gedanke beruhigte ihn keineswegs. Ihm steckte noch immer der Schreck in den Gliedern, den die Medusa in ihm ausgelöst hatte.
    Einen Moment lang fühlte er wieder die Starre, die ihn beim Anblick der Gorgone gebannt hatte, und er wäre auf der Marmortreppe fast gestolpert. Ihm war bewusst, dass Kranzer ihn für seltsam hielt, weil er in der Tür zum Rubens-Saal stehen geblieben war, als traue er sich nicht, weiterzugehen. Die Vergangenheit schlug über ihm zusammen wie eine ungeheure Welle. Er spürte das Wiedererkennen wie eine Krankheit, die in der Kindheit nicht ausbricht und die im Alter mit voller Wucht zuschlägt. Er fühlte die Bilder von seinem 13. Geburtstag auffliegen und zerfetzen, als wäre er der Wellenbrecher dieser Erinnerungen. Sein Vater hatte ihn an diesem Tag mitgenommen ins Kunsthistorische Museum. Es war der erste Tag gewesen, an dem es der Öffentlichkeit zugänglich war, der 22. Oktober 1891. Auf seinen Schultern hatte er Julius durch die Menschenmassen getragen, die an diesem großen Tag ins Museum geströmt waren, um endlich die wertvollen Gemälde in ihrer neuen Umgebung zu betrachten. Das Kunsthistorische Museum war eigens gebaut worden, um die habsburgische Bilderflut aus den Räumen des Belvedere-Schlosses zu holen, das allmählich zu klein geworden war.
    Julius erinnerte sich an die Angst und an die scheue Hoffnung, als sie vor dem Kartenabreißer zwischen den anderen Besuchern fast zerquetscht worden waren. Joseph Pawalet hatte von einer Überraschung gesprochen. Aber bis er ihn endlich auf die Schultern hob, wurde Julius von der Sorge gequält, dass sein Vater wieder gelogen hatte. Zu oft gab es Andeutungen, Versprechen und Überraschungen, die sich immer wieder in der Ödnis einer armseligen, langweiligen Kindheit auflösten. Zu oft waren diese Überraschungen im Schnaps ertrunken. Aber an diesem Geburtstag verließen sie ihre muffige, elende Behausung, um mit all den feinen Leuten in dieses schlossartige Gebäude zu gehen.
    „Was zappelst denn so rum, Julius? Du musst dich schon benehmen, im Museum des Kaisers, hörst?“, sagte der Vater.
    „Was ist ein Musenum?“ Julius beugte sich zu seinem Vater hinunter, um ihn besser zu verstehen. Er roch den Tabak in seinen Haaren.
    „ Museum heißt das. Weißt nicht mehr, was ich dir über unsere Bilder erzählt

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