Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien
blitzte Lischka wütend an „Das ist ja wohl die Höhe! Das hat Ihnen dieser Irre eingeflüstert, was! Dieser … dieser Julius Pawalet! Der hat mich auch schon offen verdächtigt. Ich sage Ihnen, das ist blanker Unsinn … wie … wie kommen Sie überhaupt darauf?“
„Und wie kommt es, dass Sie so nervös sind, Dr. Kinsky?“, fragte der Inspektor fast beiläufig.
Das etwas schwabbelige Gesicht des Museumsdirektors erschien im weichen Licht auf einmal dunkel, als wäre ihm das Blut in den Kopf gestiegen vor Wut.
„Ach, dann finden Sie also nicht, dass die jüngsten Ereignisse Grund zu der Annahme geben, dass in Ihrem Museum Gemälde gefälscht werden?“
„Nur weil auf der Auktion von diesem Pirnowsky eine Fälschung aufgetaucht ist?“
„Eine Fälschung, die immerhin so genial gefertigt wurde, dass ein unabhängiger Kunstexperte sie auf den ersten Blick als Original eingestuft hat.“
„Na und? Was kann ich dafür, dass dieser Mann sich geirrt hat!“
„Hat er sich geirrt? Hat er nicht viel eher sein Urteil revidiert? Und war das nicht auch das Letzte, was er in seinem Leben gemacht hat?“
Kinsky blitzte ihn wieder böse an. „Da sehen Sie es! Der Mann hat sich nicht ohne Grund umgebracht. Wahrscheinlich hat er sich für diesen peinlichen Fehler, diese infame Unterstellung zu sehr geschämt. Sein Ruf wäre nach dieser Fehleinschätzung ruiniert gewesen!“
„Und wie erklären Sie es sich, dass Hofrat Schattenbach kurz vor dessen Tod bei ihm war?“, fragte Lischka weiter.
„Das müssen Sie den Hofrat schon selber fragen. Warum kommen Sie damit zu mir?“
„Weil ich es sehr seltsam finde, dass ein Kunstexperte wie Sie nicht weiß, dass es von einem Ihrer Gemälde eine Fälschung gibt.“
Irrte er sich oder schluckte Kinsky schwer an diesem Vorwurf. Er fuhr fort: „Und das, obwohl Sie bereits seit mehr als dreißig Jahren für diese Galerie arbeiten. Sie wurden zum Direktor des Kunsthistorischen Museums ernannt, als es sich noch im Bau befand. Sie waren bereits Stellvertretender Direktor der Gemäldegalerie im Oberen Belvedere. Und Sie haben den Umzug der Gemälde ins neue Museum koordiniert und überwacht.“
Kinsky rutschte in seinem Sessel nach vorn und blickte den Inspektor scharf an.
„Hören Sie zu, Sie aufdringlicher Schnüffler. Ich weiß nicht, was für Märchen Julius Pawalet Ihnen erzählt hat, aber ich an Ihrer Stelle würde mich lieber darum kümmern, diesen Mörder zu fassen. Ich glaube, die Tatsache, dass Sie auf diesem Gebiet keinen Erfolg haben, beunruhigt Sie, kann das sein?“
Lischka grub die Fingernägel in das Sesselpolster. Kinsky hatte den Finger in die Wunde gelegt. Anstatt etwas zu sagen, erhob er sich und ging langsam zu der Tür hinüber.
Kinsky sprang ebenfalls auf. „Sie haben doch gar keine Ahnung von Kunst, Inspektor Lischka. Und dieser Julius Pawalet hat auch keine. Genauso wenig wie Jan Groukoult. Und nur aufgrund von ein paar Andeutungen wollen Sie mich jetzt verdächtigen?“
Ohne ihn anzusehen, streckte Lischka die linke Hand aus und strich scheinbar anerkennend über die Ebenholzintarsien auf dem Türblatt und sagte wie zu sich selbst: „Kinsky, Kinsky, Kinsky. Dass Sie das nicht verstehen wollen. Sie sind Hauptverdächtiger im Fall Joseph Pawalet. Sie haben Glück, dass die Morde mich davon abgehalten haben, Sie dazu genauer zu befragen. Ihnen ist nicht aufgefallen, dass der Bildermörder sich an Ihren Gemälden bedient. Und Sie sind der Leiter eines Museums, in dem gerade ein Gemälde verschwunden ist, dessen Herkunft bis jetzt nicht geklärt werden konnte, weil der dafür zuständige Experte Selbstmord begangen hat. Nachdem er Besuch von Ihren Freunden Luise und Viktor von Schattenbach hatte. Ach übrigens –“, er griff nach der Klinke, „haben Sie gerade Besuch von einem der beiden?“
Kinsky atmete scharf ein und wollte die Hand des Inspektors festhalten, doch Lischka hatte die Klinke bereits gedrückt und stieß die Tür auf. Von drinnen ertönte ein leises, unwilliges Geräusch. Der Nebenraum war eine Art Boudoir, wie Damen es zum Ankleiden nutzen. In der Mitte stand ein hohes, breites Bett mit einem seidig behängten Betthimmel. Und in den strahlend weißen Laken zeichnete sich der Körper einer Frau ab. Einer Frau, deren Haut so schwarz war wie die Nacht, die draußen hereinbrach.
„Schließen Sie sofort die Tür!“, presste Kinsky hervor. Die Augen traten ihm aus den Höhlen, und er atmete schwer.
Lischka zog die Tür wieder
Weitere Kostenlose Bücher