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Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Titel: Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Hasler
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keine Akte gibt, Julius.“
    Sie gingen am Schwarzenbergplatz entlang, folgten Colette über den Kärntner Ring und neben dem hell erleuchteten Kaffeehaus am Platz in die Innere Stadt. Lischkas Atem wurde im Licht der Laternen zu goldenen Wölkchen.
    „Also, im Dezember 1894 wurde auf dem Stephansplatz ein Mann mit einem Messer angegriffen, nachdem er aus einer Kutsche ausgestiegen war. Es entstand ein Tumult, der Mann mit dem Messer wurde festgehalten, der Verletzte flüchtete zurück in seine Kutsche, die daraufhin wie der Teufel davongejagt ist. Man wusste zuerst nicht, wer der Angegriffene war. Der andere Mann war dein Vater. Er war so betrunken, dass es ein Wunder war, dass er das Messer überhaupt halten konnte. Er wurde sofort in den Arrest gebracht und zu dem Vorfall befragt. Es war allerdings so, dass er nach zwei Tagen ins Delirium fiel, weil er im Gefängnis natürlich nichts zu trinken bekam. Es war also unmöglich, ihn zu befragen. Der Mann, dem er das Messer in den Hals gestoßen hatte, hat sich auch nicht gemeldet, es kam nie zu einer Anzeige in dieser Sache.
    Dein Vater war insgesamt acht Monate im Kotter und verfiel dort dermaßen, dass er von einem Arzt betreut werden musste. Er machte in dieser Zeit zwangsläufig eine Entgiftung und wurde allmählich wieder nüchtern. Als er wieder etwas klarer im Kopf war, sollte er erneut befragt werden, aber er hat behauptet, er könnte sich an nichts erinnern. Eines Tages kam ein Schreiben von Hofrat von Schattenbach, der mit einem kaiserlichen Dekret die Freilassung deines Vaters erwirkt hat.“
    „Mit einem kaiserlichen Dekret?“, rief Julius aus. „Wie um alles in der Welt hat er denn das geschafft?“
    „Nun, es wird sich zeigen müssen, ob dieses Schreiben gefälscht war. Aber du darfst nicht vergessen, dass der Hofrat großen politischen Einfluss hat. Ich will lieber nicht wissen, was er in seinem Namen alles erwirken kann. Und der Kaiser ist ein vielbeschäftigter Mann. Vielleicht hat er einfach blind seine Unterschrift unter irgendein Dokument gesetzt, das ihm einer seiner Hofräte vorlegt. Jedenfalls gab Schattenbach an, er selbst sei von Pawalet angegriffen worden. Er hat eine Narbe am Hals, die er uns als Beweis gezeigt hat. Er hat behauptet, Joseph Pawalet sei ein alter Freund von ihm, der aufgrund widriger Lebensumstände verwirrt gewesen sei. Er erwirkte die Freilassung deines Vaters. Du weißt ja, dass die Wiener Gefängnisse immer überbelegt sind. Er wurde mit Handkuss entlassen. Und schon ein paar Wochen später bekam er seine Anstellung als Saaldiener im Kunsthistorischen Museum.“
    Julius runzelte die Brauen. Er sah kurz hoch und schaute nach Colette. Die Frau war bereits am Ende der Walfischgasse angekommen, bog aber nicht in die Kärntner Straße ein, sondern nahm die Augustinerstraße nach rechts, vorbei an der Hofburg. Sie schien genau den gleichen Weg zu nehmen, den Julius damals bei seinem ersten Besuch bei Luise von Schattenbach genommen hatte.
    Diese Geschichte war einfach unglaublich. Er hatte immer gedacht, sein Vater hätte sich aus dem Staub gemacht und ihn einfach im Stich gelassen. Dabei hatte er geistig umnachtet im Gefängnis gesessen.
    „Warum hat der Hofrat ihn aus dem Kotter geholt? Was hatte er für einen Grund, einem Mann zu helfen, der ihn fast getötet hat?“
    „Ich sage dir, was ich denke, Julius. Dein Vater war ein hoffnungsloser Säufer, den man manipulieren und benutzen konnte. Vielleicht wusste er Dinge, die dem Hofrat gefährlich werden konnten. Und als dein Vater im Gefängnis wieder Herr über seine Sinne zu werden drohte, musste Schattenbach annehmen, dass er vielleicht irgendetwas verraten könnte, was ihm schaden würde. Darum hat er ihn aus dem Gefängnis geholt und ihn irgendwie dazu gebracht zu schweigen und ihn an sich gebunden.“
    „Aber warum dann die Anstellung ausgerechnet im Museum? Und woher kannte mein Vater den Hofrat?“ Julius fühlte sich immer verwirrter.
    „Tja, es gibt wohl in seiner Vergangenheit so einiges, womit du es jetzt auch zu tun bekommst, mein Freund.“
    „Aber sie hätten meinen Vater doch auch umbringen können, wenn sie befürchten mussten, dass er irgendetwas ausplaudert“, wunderte sich Julius.
    „Dann war dein Vater wahrscheinlich auf eine gewisse Weise unersetzlich für den Hofrat und vielleicht auch für Kinsky. Denn du hast recht – wieso sonst sollte man einen trinkenden Verbrecher im Museum anstellen?“
    Eine Weile lang gingen sie schweigend

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