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Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Titel: Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Hasler
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noch keinen der Tatorte gesehen. Lischkas Keuchen mischte sich mit dem Wehklagen Colettes. Sie hatte überhaupt nicht reagiert, als die beiden Männer hereinkamen. Vorsichtig trat Julius näher. Das Arrangement, dessen Mittelpunkt Luises nackter Körper bildete, war perfekt.
    Sie lag, nackt und schwanenweiß, auf dem Sofa, unter dem Rücken ein üppiges Kissen. Ihr rechter Arm war angewinkelt, die Hand an den Kopf gelegt, als hätte sie Schmerzen. Der linke Arm lag entspannt an der Seite. Das rechte Bein hing ein wenig über die Kante des Diwans, während das linke leicht angewinkelt war, so dass demjenigen, der sie finden sollte, zuerst kein Blick auf ihre Scham gewährt wurde. So wie bei dem Gemälde, das Luise nachzustellen schien.
    Um den Brustkorb verlief ein prächtiger breiter Schmuckgürtel. Mit Gold eingefasste riesige Perlen, Rubine und rauchblaue Edelsteine. Zwischen den Brüsten teilte sich die Leibkette und verlief diagonal zu ihrer linken Brust. Um den Hals lag eine schlichte Perlenkette; Perlen schmückten auch die Ohren und das Haar. Am linken Oberarm verlief über einem Stück weißer Seide ein Band aus massivem Gold, das mit den gleichen Steinen verziert war wie der Rest.
    Es stimmte einfach alles. Mit dem Gesäß lag sie auf der weißen Seide, die um den Oberarm geschlungen war. Die Zehen des angewinkelten Fußes verschwanden unter der Wade des ausgestreckten Beins. Der Kopf war zur Seite gedreht
    und alle Kissen und Polster so arrangiert, dass die Körperhaltung gestützt wurde und nicht erschlaffen konnte. Lischka trat zu der Toten und kniete sich hin, als würden seine Beine ihn nicht mehr tragen.
    Julius schloss die Augen. Das Gemälde deutlich vor Augen merkte er, dass der Mörder wieder ein Motiv umgesetzt hatte, bei dem niemand getötet worden war. Das Bild trug den Titel Ruhende Venus . Auf dem kleinen Schild, das im Museum neben dem Bild hing, stand ein Name, an den er sich nicht mehr genau erinnerte und hinter dem ein Fragezeichen gestanden hatte. Die Restauratoren der Gemäldegalerie waren sich nicht einig über den Schöpfer des Bildes. Irgendwann in ein paar Jahrzehnten würde die Urheberschaft der Ruhenden Venus geklärt sein. Doch die Umsetzung dieses Künstlers hier würde die Welt nachhaltiger beeindrucken als das Gemälde irgendeines flämischen Barockmalers.
    Doch während die Formen der Venus eher üppig schwellend wirkten und man auf dem runden, rosigen Gesicht den Schlaf der Göttin sah, starrte sie der Tod von Luises Körper an. Ihr schlanker Wuchs wirkte plötzlich eher mager, der Bauch sah fast eingefallen aus, und das angewinkelte Bein gab den Blick frei auf einen hervorstehenden Beckenknochen. Die Farbe ihrer Haut war bläulich, und auf ihr Gesicht hatten sich bereits die Schatten gelegt.
    Da waren sie also, die köstlichen Umrisse, die er bisher unter ihren Gewändern nur erahnen durfte. Warum hatte der Mörder diesmal nur einen Topos gewählt, der nichts Totes darstellte?Nur den süßen Schlaf einer schönen Göttin.
    Und als wären seine Gedanken bereits Teil der Wahrheit, rief Lischka plötzlich aus: „Sie lebt! Julius, sie atmet noch! Schnell …“
    Julius eilte zu ihm und kniete sich neben ihn. Lischka hatte die Finger an ihren Hals gelegt und meinte dort noch einen schwachen Herzschlag zu fühlen. Julius hielt die Hand unter ihre Nase – und tatsächlich! Er spürte einen ganz schwachen Atem. Wenn Luise noch am Leben war, dann allerdings nicht mehr lange. Auf ihrem Brustkorb schien der Stiefelabsatz des Todes zu stehen, der ihr Herz und ihre Lungen immer stärker erschlaffen ließ.
    Lischka näherte sein Gesicht dem ihren, als wollte er sie küssen.
    „Ihre Lippen riechen nach Laudanum!“, sagte er. „Schnell, wir müssen sie wiederbeleben!“
    Er drehte sich um. Colette saß, noch immer im Mantel und mit nassen Haaren, auf dem Teppich, die Hände vors Gesicht geschlagen, als würde sie in einer Tragödie von Shakespeare mitspielen.
    „Sie! Holen Sie ein Riechfläschchen, los!“, herrschte Lischka sie an. Als ob die Nachricht, dass ihre Herrin doch noch am Leben war, der Zofe neue Kräfte verliehen hätte, sprang diese auf, eilte davon und kam kurz darauf mit einem silbernen Flakon zurück. Lischka riss es ihr aus der Hand. „Und jetzt machen Sie alle Fenster auf!“
    Colette bediente mehrere Stäbe neben der Tür, die einige Kippfenster in der Glaskuppel öffneten. Eine kleine Schneelawine fiel ins Zimmer und landete auf den orientalischen Teppichen.

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