Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien
sagen.“
Julius fasste Lischka am Unterarm und sagte: „Lass uns verschwinden, Rudolph. Das hier ist eine Farce. Wenn Herr und Frau Hofrat wüssten, wie lächerlich fehlgeschlagen ihr feiner Plan ist.“
Lischka sah seinen Begleiter fragend an. „Was soll das?“, fragte er unwirsch. „Was willst du damit sagen?“
Julius richtete den Blick auf Luise. „Diese Frau versucht uns anzulügen“, sagte er mit leiser Stimme. „Sie hat wohl damit gerechnet, dass den Polizeiagenten, die sie im Laudanum-Rausch finden würden, niemals auffallen würde, dass sie einen Fehler gemacht hat.“
In diesem Moment huschte ein erschrockenes Zucken über Luises bleiche Züge, und sie ließ die rechte Hand wieder unter der Decke verschwinden. Gleichzeitig flatterten ihre Lider, und sie sah aus, als wäre sie wieder in Ohnmacht gefallen. Ob es eine gespielte Ohnmacht war oder eine gnädige echte, wusste Julius nicht. Er war sich sicher, dass seine Worte in ihr Bewusstsein dringen würden wie ätzende Säure, die sich in edlen Marmor frisst.
„Ich weiß nicht, bei welchem Juwelier die Frau Hofrat ihren Schmuck in Auftrag gegeben hat, aber offensichtlich hatte dieser Goldschmied nicht genug Materialien, um ein kleines Detail anzufertigen.“
„Wovon redest du?“, raunte Lischka.
Der Hofrat sah Julius lauernd und mit zusammengekniffenen Äuglein an und bewegte die Zunge im geschlossenen Mund, als wollte er die kommenden Worte zermalmen.
„Ihre Frau hat zweifelsohne versucht, so zu tun, als wäre sie ein Opfer des Bildermörders, und ich gebe zu, es wäre ihr fast gelungen, uns zu täuschen. Aber nur fast. Denn ich bin mir sicher, dass der Mörder ein Perfektionist ist. Dies hier ist nicht das Werk eines Perfektionisten. Denn erstens hätte er sich für die Ruhende Venus eine üppiger gebaute Frau ausgesucht und nicht eine mit einem so abgemagerten Körper. Und außerdem – wenn er schon diesen ganzen Gold- und Edelsteinschmuck verwendet hat – warum sollte er dann den Armreif am rechten Handgelenk auslassen? Die Ruhende Venus im Kunsthistorischen Museum trägt so einen Armreif. Bei ihr hier fehlt er.“
„Was unterstellen …“, fuhr der Hofrat auf, doch Lischka unterbrach ihn mit einer wütenden Geste.
„Nur dass Ihre Gattin eine gute Schauspielerin ist. Und sie hat verdammtes Glück gehabt, dass ihr kleiner Selbstmordversuch nicht geglückt ist. Wie lange nimmt sie schon Laudanum, dass sie an solche Mengen gewöhnt ist? Und uns diesen kleinen Selbstmordversuch vorspielen konnte?“
„Rudolph, das ist doch unwichtig“, sagte Julius versöhnlich. „Tatsache ist, dass Luise von Schattenbach so dringend verhindern will, in die Ermittlungen zu den Bildermorden hineingezogen zu werden, dass sie zu diesem Ablenkungsmanöver greifen musste. Sie ist zweifelsohne eine große Kunstexpertin und eine Meisterin der Inszenierung.“ Er nickte anerkennend in Richtung der offenbar Bewusstlosen, hinter deren Lidern die Augäpfel rollten.
Julius sah, wie Lischka ihm einen eindringlichen Blick zuwarf. Dann wandte der Inspektor sich an Luise und zischte mit höhnisch verzogenem Gesicht.
„Frau Hofrat, da haben Sie wohl Pech gehabt, dass Ihr Publikum nicht auf diese Inszenierung hereingefallen ist.“ Und an den Hofrat gewandt, fuhr er fort: Was ist denn schiefgelaufen in Ihrer Planung? Kein Geld mehr für das letzte Schmuckstück? Oder waren Sie einfach nur schlampig?!“
„Was zum Teufel reden Sie da, Mann?“, schrie nun der Hofrat und sprang auf. Neben ihm glitt Luise seitlich auf die Sitzfläche des Polsters, so dass das filigrane Krönchen verrutschte, das in ihrem Haar steckte. In diesem Moment erschien sie Julius nur noch wie eine Faschingsprinzessin, die in einem heftigen Rausch lag.
„Wir sind Ihnen auf der Spur, Schattenbach! Ihre Gattin hat wohl gehofft, dass Colette, nachdem sie aus Kinskys Bett zurückgekehrt ist, sie finden und die Polizei rufen würde. Denen wäre niemals aufgefallen, dass hier ein Detail fehlt. Sie hat nicht damit gerechnet, dass er hier –“, er deutete auf Julius, „ihren erbärmlichen Trick aufdecken würde.“
Dem Hofrat klappte die Kinnlade herunter. „Sie!“, sagte er und richtete seinen wurstdicken Finger auf Julius. „Sie … Sie sind … der Sohn von …“
„Joseph Pawalet. Ich bin Julius Pawalet, sehr angenehm.“
VIII
Der 23. Dezember war ein strahlend heller Tag, die Sonne stand am Himmel wie ein leuchtender Edelstein und ließ den tief verschneiten Prater funkeln und
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