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Das sterbende Tier

Das sterbende Tier

Titel: Das sterbende Tier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Roth
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einem das nun gefällt oder nicht. Es gibt immer widerstreitende Kräfte, und darum befindet man sich immer im Krieg, es sei denn, man findet außerordentlichen Gefallen daran, sich unterzuordnen.
    Ich bin kein Kind dieser Zeit. Das sehen Sie. Das hören Sie. Ich habe mein Ziel unter Einsatz eines stumpfen Gegenstandes erreicht. Ich habe mein häusliches Leben und diejenigen, die darüber gewacht haben, mit einem Hammer erledigt. Kennys Leben ebenfalls. Daher ist es nicht verwunderlich, daß ich noch immer den Hammer schwinge. Und es ist auch nicht verwunderlich, daß mein Beharren mich für Sie, der Sie ein Kind dieser Zeit sind und nie auf irgendeines von diesen Dingen haben beharren müssen, eine komische Figur bin, nicht unähnlich dem Dorfatheisten.
    Doch nun genug gelacht - lassen Sie den Lehrer zum Ende kommen. Natürlich, wenn Genuß, Erfahrung und Alter Themen sind, die Sie nicht mehr interessieren... Ach, das interessiert Sie? Dann denken Sie über mich, was Sie wollen, aber warten Sie bis zum Ende.
     
Das vergangene Weihnachten. Weihnachten 1999.
    In jener Nacht träumte ich von Consuela. Ich war allein und träumte, daß ihr irgend etwas passierte, und ich dachte, ich sollte sie anrufen. Aber als ich im Telefonbuch nachsah, stand sie nicht mehr darin, und weil ich mir unter Georges lenkendem Einfluß nicht gestattet hatte, mich erneut jener Erregung hinzugeben, die mich hätte zerstören können, hatte ich darauf verzichtet, mir die Adresse in der Upper East Side zu notieren, auf die ich vor Jahren, als sie ihre erste Stelle angetreten hatte, im Telefonbuch gestoßen war. Nun, eine Woche später, am Silvesterabend, war ich allein in meinem Wohnzimmer, ohne weibliche Gesellschaft. Ich war absichtlich allein und spielte Klavier, denn ich wollte die Feiern zur Jahrtausendwende ignorieren. Sofern man nicht von Sehnsucht erfüllt ist, kann ein zurückgezogenes Leben ein großer Genuß sein, und den wollte ich an jenem Abend auskosten. Mein Anrufbeantworter war eingeschaltet - auch an anderen Tagen nehme ich, wenn das Telefon läutet, nicht den Hörer ab, sondern höre mir an, wer es ist. Und besonders in dieser Nacht war ich entschlossen, mir von niemandem auch nur ein einziges Wort über »Y2K« anzuhören, und darum spiele ich, als das Telefon läutet, einfach weiter, bis mir plötzlich bewußt wird, daß die Stimme, die ich höre, ihre ist. »Hallo, David. Ich bin's - Consuela. Es ist lange her, daß wir miteinander gesprochen haben, und es ist seltsam, dich anzurufen, aber ich will dir etwas sagen. Ich will es dir selbst sagen, bevor du es von jemand anders erfährst. Oder durch Zufall. Ich rufe dich später noch mal an. Aber für alle Fälle gebe ich dir meine Handy-Nummer.«
    Erstarrt lauschte ich ihrer Nachricht. Zunächst nahm ich den Hörer nicht ab, und als ich es schließlich tat, war es zu spät, und ich dachte: Mein Gott, ihr ist tatsächlich etwas passiert. Und weil George tot war, befürchtete ich für Consuela das Schlimmste. Ja, George ist gestorben. Haben Sie den Nachruf in der Times nicht gelesen? George O'Hearn ist vor fünf Monaten gestorben. Ich habe meinen besten Freund verloren. Ich habe jetzt praktisch gar keinen Freund mehr. Es ist ein großer Verlust - die Kameraderie, die zwischen uns war, fehlt mir. Ich habe natürlich Kollegen, Leute, die ich bei meiner Arbeit sehe und mit denen ich ein paar Worte wechsle, aber die Überzeugungen, nach denen sie ihr Leben ausrichten, stehen derart im Widerspruch zu meinen, daß es schwierig ist, frei miteinander zu reden. Wir haben keine gemeinsame Sprache, um uns über unser persönliches Leben auszutauschen. Mein männlicher Freundeskreis bestand einzig und allein aus George, vielleicht weil die Klasse der Männer, zu der wir gehören, ohnehin nur sehr klein ist. Und ein einziger Waffenbruder ist genug; es ist gar nicht nötig, die ganze Gesellschaft auf seiner Seite zu haben. Ich stelle fest, daß die meisten anderen Männer, die ich kenne - besonders, wenn sie mich mal mit einer meiner jungen Geliebten gesehen haben -, mich entweder insgeheim verurteilen oder mir unverhohlen Predigten halten. Ich bin ein »beschränkter Mann«, sagen sie - sie, die nicht beschränkt sind. Und diese Prediger können richtig wütend werden, wenn ich die Wahrheit ihrer Argumente nicht anerkenne. Ich bin »selbstgefällig«, sagen sie - sie, die nicht selbstgefällig sind. Die Gequälten wollen selbstverständlich nichts mit mir zu tun haben. Keiner der

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