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Das sterbende Tier

Das sterbende Tier

Titel: Das sterbende Tier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Roth
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Flucht für ihn hatte, und wegen der Sturheit, mit der er sein eigenes Leben zu einem Protest gegen meines gemacht hat. Lächerlichkeit ist der Preis, den er dafür zahlt, daß er zu früh zu einem Telemachos gemacht worden ist, dem heldenhaften kleinen Beschützer der un-beschützten Mutter. Doch in den drei Jahren, in denen ich immer wieder von der Depression gepackt wurde, war ich tausendmal lächerlicher als Kenny. Was meine ich mit »lächerlich«? Was ist Lächerlichkeit? Freiwillig seine Freiheit aufgeben - das ist die Definition von Lächerlichkeit. Wenn einem die Freiheit gewaltsam genommen wird, ist man natürlich nicht lächerlich, es sei denn für den, der sie einem gewaltsam genommen hat. Doch wer seine Freiheit aufgibt, wer darauf brennt, sie aufzugeben, tritt ein in das Reich der Lächerlichkeit, das an die berühmtesten Stücke lonescos erinnert und in der Literatur die Inspiration für Komödien ist. Wer frei ist, mag verrückt, dumm, abstoßend oder unglücklich sein, eben weil er frei ist, doch er ist gewiß nicht lächerlich. Als menschliches Wesen besitzt er eine Dimension. Ich selbst war lächerlich genug gewesen, als ich Consuela hatte. Aber in den Jahren, in denen ich in dem monotonen Melodram ihres Verlustes gefangen war? Mein Sohn, beherrscht von seiner Verachtung für das Leben, das ich ihm vorgelebt habe, entschlossen, verantwortlich zu sein, wo ich verantwortungslos war, unfähig, sich von irgend jemandem, vor allem aber von mir, zu befreien - mein Sohn will davon vielleicht gar nichts wissen, doch ich gehe durch die Welt und beharre darauf, daß ich es besser weiß. Und dennoch schleicht das Äußere sich ein. Die Eifersucht schleicht sich ein. Die Bindung schleicht sich ein. Das ewige Problem der Bindung. Nein, nicht mal das Vögeln kann ganz rein und beschützt bleiben. Und das ist der Punkt, an dem ich versage. Der große Propagandist des Vögeins, und dabei bin ich nicht besser als Kenny. Natürlich ist darin nicht die Reinheit, von der Kenny träumt, aber auch nicht die Reinheit, von der ich träume. Wenn zwei Hunde ficken, scheint Reinheit dazusein. Da, bei den Tieren, denken wir, ist reines Picken. Doch wenn wir mit ihnen darüber sprechen könnten, würden wir vielleicht feststellen, daß es selbst bei Hunden eine hündische Spielart dieser verrückten Verzerrungen durch Sehnsucht, Vernarrtheit, Besitzansprüche, ja vielleicht sogar durch Liebe gibt.
    Dieses Bedürfnis. Diese Gestörtheit. Hört das nie auf? Nach einer Weile weiß ich nicht mal mehr, wonach ich mich so verzweifelt sehne. Nach ihren Brüsten? Nach ihrer Seele? Nach ihrer Jugend? Nach ihrem schlichten Gemüt? Vielleicht ist es schlimmer als das - vielleicht sehne ich mich jetzt, da mein Tod näherrückt, insgeheim auch danach, nicht frei zu sein.
     

Die Zeit vergeht. Ich habe neue Freundinnen.
    Ich habe Freundinnen, die Studentinnen sind. Alte Freundinnen, die ich vor zwanzig, dreißig Jahren hatte, tauchen wieder auf. Manche sind bereits mehrmals geschieden, andere waren so sehr damit beschäftigt, Karriere zu machen, daß sie nicht mal Gelegenheit fanden zu heiraten. Diejenigen, die noch immer allein sind, rufen mich an und beklagen sich über die Männer, mit denen sie sich verabreden. Verabredungen sind gräßlich, Beziehungen sind unmöglich, Sex ist gefährlich. Die Männer sind entweder narzißtisch, humorlos, verrückt, besessen, anmaßend, grob, oder sie sind gutaussehend, männlich und rücksichtslos untreu, oder sie sind lasche Hampelmänner, oder sie sind impotent, oder sie sind ganz einfach zu dumm. Die Frauen, die noch in den Zwanzigern sind, haben diese Probleme nicht, weil sie noch immer auf die Freundschaften zurückgreifen können, die sie auf der Universität geschlossen haben, wo sich natürlich alles mischt, doch die etwas älteren, die Mittdreißigerinnen, sind derart in ihrer Arbeit eingespannt, daß viele, wie ich jetzt entdecke, die Dienste professioneller Vermittler in Anspruch nehmen, um einen Mann zu finden. Und in einem bestimmten Alter hören sie ohnehin auf, neue Leute kennenzulernen. Wie eine der Desillusionierten mir sagte: »Wer sind denn diese neuen Leute, wenn man sie wirklich kennenlernt? Es sind die alten Leute mit anderen Masken. An ihnen ist überhaupt nichts Neues. Es sind bloß Leute.«
    Die Vermittlungsagenturen unterscheiden sich im Preis der Jahresmitgliedschaft - als Gegenleistung dafür garantieren sie eine bestimmte Anzahl von Vorschlägen. Manche Agenturen

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