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Das sterbende Tier

Das sterbende Tier

Titel: Das sterbende Tier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Roth
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Vortrag darüber, wie kindisch die Vorstelung von einer festen partnerschaftlichen Verbindung ist? Denn natürlich ist sie kindisch. Das Familienleben ist kindisch, heute mehr denn je, weil das Ethos hauptsächlich durch die Kinder geschaffen wird. Wenn keine Kinder da sind, ist es noch schlimmer. Weil dann der kindische Erwachsene das Kind ersetzt. Das Leben in einer Zweierbeziehung, das Leben in einer Familie bringt in allen Beteiligten alles hervor, was kindisch ist. Warum müssen sie Nacht für Nacht im selben Bett schlafen? Warum müssen sie fünfmal am Tag miteinander telefonieren? Warum sind sie immer zusammen? Diese gezwungene gegenseitige Unterordnung ist jedenfalls kindisch. Diese unnatürliche Unterordnung. In irgendeiner Zeitschrift habe ich kürzlich etwas über ein berühmtes, seit vierunddreißig Jahren verheiratetes Paar aus der Medienbranche gelesen, über die großartige Leistung dieser beiden, die es geschafft haben, einander zu ertragen. Der Mann sagte der Reporterin voller Stolz: »Meine Frau und ich sagen immer, daß man die Qualität einer Ehe an der Zahl der Bißnarben auf der Zunge ablesen kann.« Wenn ich mit solchen Leuten zu tun habe, frage ich mich immer: Wofür werden sie bestraft? Vierunddreißig Jahre. Die masochistische Härte, die man dafür braucht, ist ehrfurchtgebietend.
    Ich habe einen Freund in Austin, der ein sehr erfolgreicher Schriftsteller ist. Mitte der fünfziger Jahre hat er jung geheiratet, und Anfang der siebziger Jahre wurde die Ehe geschieden. Die Frau war nett, und er hatte drei nette Kinder mit ihr - aber er wollte raus. Und er stellte sich dabei nicht hysterisch oder dumm an. Es war eine Frage der Menschenrechte: Gib mir Freiheit, oder gib mir den Tod. Tja, nach der Scheidung lebte er frei und allein und war unglücklich. Und so heiratete er nach kurzer Zeit wieder, diesmal eine Frau, mit der er keine Kinder zeugen wollte und die bereits ein eigenes Kind hatte, das schon aufs College ging. Ein Eheleben ohne Kinder. Nun, mit dem Sex war es nach ein paar Jahren natürlich vorbei, und dabei spreche ich von einem Mann, der während seiner ersten Ehe fortwährend untreu war und in dessen Büchern es ständig um Sex geht. Wäre er allein geblieben, dann hätte er ganz offen all das genießen können, was er während seiner ersten Ehe so oft heimlich genossen hatte. Doch kaum hat er sich von seinen Fesseln befreit, da ist er auch schon unglücklich und glaubt, er werde es für immer sein. Frei und ungebunden steht er der Fülle des Lebens gegenüber und hat doch keine Ahnung, wo er ist. Ihm fällt nichts Besseres ein, als wieder in den Zustand zurückzukehren, den er so unerträglich fand, diesmal allerdings ohne die zwingende Logik des Wunsches, verheiratet zu sein, um Kinder zu bekommen, eine Familie zu gründen et cetera. Der Reiz der Heimlichkeit? Ich will das nicht herunterspielen. Die Ehe ist bestenfalls ein verläßliches Stimulans für die Erregungen, die heimliche Seitensprünge bereithalten. Doch mein Freund brauchte etwas, was ihm mehr Sicherheit bot als das tägliche Drama des Ehebrechers, der einen Fluß von Lügen durchwatet. Als er ein zweites Mal heiratete, ging es ihm nicht um diesen Kitzel, auch wenn er, kaum daß er wieder Ehemann war, begann, sich den alten Vergnügungen hinzugeben. Ein Teil des Problems liegt darin, daß die Emanzipation des Mannes nie einen Fürsprecher gehabt hat, nie Bestandteil der Erziehung gewesen ist. Sie hat keinen gesellschaftlichen Stellenwert, weil man nicht will, daß sie einen gesellschaftlichen Stellenwert hat. Doch die Lebensumstände dieses Mannes erlaubten es ihm, seine Möglichkeiten voll auszuschöpfen, und sei es nur um der Würde willen. Aber sich beugen und immer wieder beugen? Beschwichtigen und immer wieder beschwichtigen? Und immer wieder davon träumen, einfach zu gehen? Nein, das ist kein würdiges Leben für einen Mann. Und, wie ich zu Elena sagte, für eine Frau ebenfalls nicht.
    Konnte ich sie überzeugen? Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht. Habe ich Sie überzeugen können? Warum lachen Sie? Was ist so komisch? Meine Schulmeisterei? Ich muß Ihnen recht geben: Die Absurditäten, die man offenbart, sind nie unbeeindruckend. Aber was soll ich tun? Ich bin Kritiker, ich bin Lehrer - die Schulmeisterei ist mein Schicksal. Die Geschichte besteht aus Argument und Gegenargument. Entweder man setzt seine Vorstellungen durch, oder man wird untergebuttert. Für eines von beiden muß man sich entscheiden - ob

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