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Das sterbende Tier

Das sterbende Tier

Titel: Das sterbende Tier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Roth
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Mutter, hatte Brustkrebs. Sie wurde behandelt und hat eine Brust verloren. Ich wußte also, daß meine Familie gefährdet ist. Ich habe es immer gewußt, und ich hatte immer Angst davor.« Und die ganze Zeit, während sie mir das erzählte, dachte ich: Ausgerechnet du, mit den schönsten Brüsten der Welt. Und sie sagte: »Eines Morgens unter der Dusche fühlte ich etwas in der Achselhöhle, und ich wußte, daß da etwas nicht in Ordnung war. Ich ging zu meiner Ärztin, und sie sagte, es sei wahrscheinlich nichts Ernsthaftes, also ging ich zu einer zweiten und einer dritten Ärztin - du weißt ja, wie das geht -, und die dritte sagte, es sei eben doch etwas Ernsthaftes.« »Und bist du in Panik geraten?« fragte ich sie. »Bist du in Panik geraten, meine schöne Freundin?« Ich war so erschüttert, daß ich in Panik geriet. »Ja«, sagte sie, »sehr.« »Nachts?« »Ja, ich bin in meiner Wohnung herumgelaufen. Ich war vollkommen durchgedreht.« Als ich das hörte, begann ich zu weinen, und wir umarmten uns noch einmal, und ich sagte: »Warum hast du mich nicht angerufen? Warum hast du mich damals nicht angerufen?« Und wieder sagte sie: »Ich habe mich nicht getraut.« Und ich sagte: »Und wen wolltest du anrufen?« Und sie sagte: »Meine Mutter natürlich. Aber ich wußte, daß sie ebenfalls in Panik geraten würde, weil ich ihre Tochter bin, ihre einzige Tochter, und weil sie so emotional ist, und weil alle anderen tot sind. Sie sind alle tot, David.« »Wer ist tot?« »Mein Vater.« »Wie ist das passiert?« »Ein Flugzeugabsturz. Er saß in der Maschine nach Paris. Es war eine Geschäftsreise.« »O nein.« »Doch.« »Und dein Großvater, den du so geliebt hast?« »Er ist auch gestorben. Vor sechs Jahren. Mit ihm hat es angefangen. Ein Herzinfarkt.« »Und deine Großmutter, die mit den Rosenkränzen? Deine Großmutter, die eine Herzogin war?« »Sie ist auch tot. Sie ist nach ihm gestorben. Sie war alt und ist gestorben.« »Aber dein kleiner Bruder...« »Nein, nein, dem geht es gut. Aber ihn konnte ich nicht anrufen, nicht wegen so etwas. Er würde damit nicht zurechtkommen. Und dann dachte ich an dich. Aber ich wußte nicht, ob du allein warst.« »Das ist kein Problem. Versprich mir jetzt eins: Wenn du in Panik gerätst, egal, wann - ob nachts oder tagsüber -, dann ruf mich an. Ich werde sofort kommen. Hier«, sagte ich, »schreib mir deine Adresse auf. Und all deine Telefonnummern: die Privatnummer, die Büronummer, alle.« Und ich dachte: Sie stirbt vor meinen Augen, auch sie stirbt jetzt. Die Instabilität brauchte nur mit dem vorhersehbaren Tod eines geliebten alten Großvaters in das heimelige kubanische Familienleben einzubrechen, um eine rasche Folge von Katastrophen auszulösen, deren Höhepunkt jetzt ihr Krebs ist. ›
    Ich sagte: »Fürchtest du dich jetzt?« Und sie sagte: »Ja, sehr. Ich habe große Angst. Zwei Minuten lang geht es mir gut, ich denke an etwas anderes, und dann habe ich auf einmal das Gefühl, als hätte ich dort, wo sonst mein Magen ist, ein Loch, und ich kann nicht glauben, daß das alles wirklich passiert. Es ist wie eine Achterbahnfahrt, die nicht aufhört. Sie hört erst auf, wenn der Krebs aufhört. Meine Chancen«, sagte sie, »stehen sechzig Prozent, daß ich überlebe, zu vierzig Prozent, daß ich sterbe.« Und dann begann sie davon zu sprechen, wie schön das Leben sei und wie leid ihr vor allem ihre Mutter tue - die banalen, unvermeidlichen Dinge, die man sagt. Ich wollte noch so vieles tun, ich hatte noch so viele Pläne, und so weiter. Sie erzählte mir, wie dumm ihr die kleinen Ängste, die sie ein paar Monaten zuvor gehabt hatte, jetzt erschienen, die Sorgen, die sich um Arbeit und Freunde und Kleider gedreht hätten, und daß die Krankheit das alles in die richtige Perspektive gerückt habe, und ich dachte: Nein, nichts rückt irgend etwas in die richtige Perspektive.
    Ich sah sie an, ich hörte ihr zu, und als ich es nicht mehr ertragen konnte, sagte ich: »Macht es dir etwas aus, wenn ich deine Brüste berühre?« Sie sagte: »Nein, tu's ruhig.« »Es macht dir nichts aus?« »Nein. Ich will dich nur nicht küssen. Weil ich nicht will, daß irgend etwas Sexuelles passiert. Aber ich weiß, wie sehr du meine Brüste magst, und darum darfst du sie berühren.« Also berührte ich ihre Brüste - und meine Hände zitterten. Und natürlich hatte ich eine Erektion. Ich sagte: »Ist es die linke oder die rechte Brust?« Und sie sagte: »Die rechte.« Also legte ich

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