Das Sternenprogramm
Schrank, in den sie bestimmt seit zwei Jahren nicht mehr
hineingeschaut hatte, und holte zwei schöne, schwere
Gläser heraus. »Trink.«
»Cheers.«
»Mord und Totschlag«, sagte Cat.
Der Drink tat ihm gut. Nur allzu gut: es war gefährlich,
Whisky zu trinken, wenn man durstig war. Jordan griff zur
Wasserflasche und trank sie zur Hälfte leer, dann nahm er
noch einen Schluck Whisky.
»Ja«, sagte er. »Ja, jetzt liegt alles in
den Händen der Göttin. Was für ein Tag.« Er
schloss einen Moment lang die Augen und sah sich mit den
typischen Nachwirkungen konfrontiert, die sich einstellten, wenn
man stundenlang das Gleiche sah. Die Bezeichnung Nachbild traf es
nicht ganz: es spielte sich auf einer tieferen Ebene als der
Netzhaut ab; vielleicht erzeugten die Sehnerven wahllos Impulse
und spielten monochrome Bilder des Gesehenen ab – in diesem
Fall Gesichter, scrollenden Text, Tunnel im Datenraum, die
aufgewühlten Meere des Marktes.
Als er die Augen wieder öffnete, füllte Cats
strahlendes Gesicht sein Blickfeld aus, willkommener als
Wasser.
»Was hast du heute gemacht?«, fragte er.
Cat lächelte. »Hast du gar nichts
mitbekommen?« Sie lachte. »Nein, natürlich
nicht. Ich hab mich dabei verausgabt, den Genossen Anweisungen zu
geben. Nicht gerade meine Stärke. Ich kenne mich eher mit
der Praxis der Fußsoldaten aus, wie wir sagen.«
Jordan meinte verlegen: »Ja, ich weiß. Ich hab
deinen Lebenslauf gesehn, als ich nach dir suchte.
Äh… das macht dir doch hoffentlich nichts
aus…«
Cat winkte anmutig ab. Ȇberhaupt nicht. Das ist
eben mein Leben!«
»Ziemlich beeindruckend«, sagte Jordan. »Du
bist eine irreguläre Soldatin der Revolution.«
»Ja, das bin ich… und eine Söldnerin
obendrein.« Sie kicherte. »Ach, was für eine
Welt! Sogar die Revolution ist privatisiert… Moh hat mich
darauf gebracht. Bevor ich ihm über den Weg gelaufen
bin« – sie lächelte in sich hinein, ihr Blick
schweifte in die Ferne –, »was zufällig ganz
wörtlich gemeint ist, tat ich das bloß aus reiner
Herzensgüte. Oder warum auch immer.« Sie schaute sich
im Raum um. »Ja, ich habe hier eine prima Zeit
erlebt.«
»Weshalb bist du fortgegangen?«, raffte Jordan
sich zu fragen auf.
»Hab mich mit Moh verkracht. Politische Differenzen
wurden auf einmal persönlich, oder vielleicht war’s
auch umgekehrt. So was kommt vor.«
Jordan blickte sie verwundert an. »Bislang hatte ich
eigentlich nicht den Eindruck, dass Moh dazu neigt, politische
Meinungsverschiedenheiten persönlich zu nehmen.«
»Ha!«, schnaubte Cat. »Das war ja gerade das
Problem!«
»Wie meinst du das?«
»Ich habe ihn aufrichtig geliebt«, sagte sie.
»Ich halte ihn immer noch für einen – nun ja,
erstaunlichen Mann. Aber ich brauche bloß an ihn zu denken,
und schon werde ich wütend; das weckt die Erinnerung an all
unsere Streitereien.« Sie lachte, schwenkte das Glas und
schaute hinein. »Meistens ging’s ums Kämpfen.
Ich war immer der Ansicht, man müsse an die Sache…
glauben, um dafür zu kämpfen. Wie du selbst gesagt
hast. Du meine Güte, wie fanatisch ich doch war! Ich
bezweifle, dass du jemals so an die Religion geglaubt hast wie
ich an die Politik, dass du jemals so die Bibel gelesen hast wie
ich die jeweils neueste Verlautbarung der Faktionsführung.
Aus Moh aber wurde ich nie so recht schlau. Allmählich kam
ich zu der Überzeugung, er sei ein Zyniker.«
»Ein Mietkiller?«
»Genau. Ich nehme an, du hast sein Gewehr kennen
gelernt.« Sie lächelten sich an. »Ein treuer
Gefolgsmann des Genossen Kalaschnikow. Aber damals im Krankenhaus
stellte sich heraus, dass er mich für einen Rambo
hielt. Für eine Opportunistin. Er hat einen Standpunkt,
okay, aber ich weiß nicht, wie der aussieht.«
Jordan deutete an die Decke. »Das ist sein
Standpunkt.«
Catherin runzelte kurz die Stirn, dann nickte sie.
»Der Weltraum… ja, der war immer schon sein Ding.
Uns in den Weltraum zu verfrachten, das ist es, woran er wirklich
glaubt – ich meine, so wie die Weltraumbewegung es vorhat,
an den Yanks vorbei –, und links und rechts, Plan- oder
Marktwirtschaft, das sind für ihn
bloß…«
»Startrampen!«
Beide lachten.
»Und wie steht es mit dir?«, fragte Jordan.
Catherin saß ihm gegenüber auf dem Sofa. Sie
streifte die Schuhe ab, zog die Beine an und blickte wieder in
die torfige Lache in ihrem Glas.
»Ich war nie im Weltraum«, sagte sie, als habe sie
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