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Das Sternenprogramm

Das Sternenprogramm

Titel: Das Sternenprogramm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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VR-Brillen hervor, als er sich zum Tresen begab; dann wurden die
angeregten Unterhaltungen fortgeführt. Der Empfang bereitete
ihm ein perverses Vergnügen. Schon wieder ein Trottel.
    Er bestellte Kaffee und ein Sandwich, dessen Größe
seinem Namen (›Die ganze Welt‹) nicht ganz gerecht
wurde; als man ihm Smartdrugs und Muntermacher anbot, lehnte er
ab. Er stellte den Rucksack ab, setzte sich in eine Ecke und
machte sich mit dem Tischmodem vertraut, während die
Bestellung bearbeitet wurde. Als sie gebracht wurde, machte er
sich erst einmal über das Essen her.
    Er hatte ein seltsames Gefühl, als finge er des Morgens
mit der Arbeit an… Doch dann vermittelte ihm die jähe
Erkenntnis, wie anders hier doch alles war, ein Hochgefühl,
wie keine der Drogen auf der Getränkekarte es ihm hätte
vermitteln können. Er holte ein stabiles Plastiketui aus der
Tasche, klappte es auf und hob eine VR-Brille und einen Handheld
aus den styroporgepolsterten Fächern. Die Geräte hatte
er im erstbesten Hardwareladen gekauft. Beide hafteten kaum
wahrnehmbar an der Haut, nicht weil sie schmierig gewesen
wären, sondern weil ihnen die mikroskopische Gleitschicht
menschlicher Fette fehlte. Seine Fingerspitzen machten diesem
Zustand ein Ende, als er sich vergewisserte, dass er der Erste
war, der die Teile berührte. Er setzte die Brille auf,
schaute sich um und stellte mit Ausnahme seines Spiegelbilds
keine sichtbare Veränderung fest. Er wischte mit dem
Ärmel über die Wand und musterte sich aus den
Augenwinkeln. Einen schwindelerregenden Moment lang fühlte
er sich in sein eigenes Spiegelbild in der gespiegelten Brille
hineingezogen. Dann riss er sich davon los und verspürte
kurzzeitig Stolz darüber, wie ernsthaft, gefährlich und
geheimnisvoll er doch aussah.
    Er lächelte kurz und wandte sich ab.
    Er streifte sich durchs Stoppelhaar, dann tastete er nach
einem kleinen Knopf am Ende des Bügels. Als er daran zog,
kam ein dünnes Kabel hervor, dessen Widerstand
nachließ, als er den Zug reduzierte. Er zog es ganz heraus
und verband es mit dem Handheld, dann schloss er das Modem
an.
    Seine ersten Schritte waren bescheiden, zaghaft: nach dem
Installieren und Booten der Software und dem Einrichten eines
Avatars eröffnete er ein Konto bei einer hiesigen Vertretung
der Hong Kong & Shanghai Bank, dann wies er sie an, seinen
Firmenanteil zu liquidieren. Dies war ein Akt des
Aufräumens, eine Formalität: seine beiden Partner
profitierten in Form ihres erhöhten Aktienanteils mehr als
er in Form von Bargeld. Er konnte von Glück sagen, dass die
Geistlichen sein Vermögen nicht eingefroren hatten. Trotz
der verschiedenen Ebenen der Anonymität ging ihm die
Transaktion an die Nieren. Als er fertig war, besaß er
nichts mehr in Beulah City. Er lehnte sich zurück und
bestellte noch einen Kaffee. Als die Tasse vor ihm stand, starrte
er hinein und dachte angestrengt nach.
    Schaum kreiste: Spiralarme umfassten die heiße dunkle
Materie in der Tiefe, drehten sich in die eine Richtung und der
Rest des Universums in die andere… e pur si muove. Der teleologische Gottesbeweis. Der Blinde Uhrmacher.
    Dies hätte der Jüngste Tag sein können: die
Stunde des Uhrmachers. Mrs. Lawsons Angst war offenbar echt
gewesen. Sie war da und sie war überall, in allen
zersplitterten Kulturen; ob gottlos oder gottesfürchtig, sie
alle hingen der sich heimtückisch vervielfältigenden
Vorstellung an, das System werde eines Tages aufwachen und zu
seinen Schöpfern sagen: »Ja, jetzt gibt es
einen Gott.«
    Gesegnet seien die Uhrmacher, denn sie werden die Welt
erben.
    Jordan war mit dem Bewusstsein einer drohenden Gefahr
groß geworden, er hatte gelernt, mit der Möglichkeit
zu leben, dass das Ende nahe sei. Die von der Jahrtausendwende
herrührenden Enttäuschungen hatten die christlichen
Sekten geprägt, eine Lektion, welche das unvollständige
Armageddon, das geendet hatte, bevor er geboren wurde, noch
bekräftigt hatte. Die Interpreten der Offenbarung hatten
dumm dagestanden, selbst vor denen, welche die
gleichermaßen uninspirierten Interpreten der Genesis nach
wie vor respektierten. Die Ansicht, dass das bevorstehende Ende
nicht vorhergesagt werden könne, verstärkte noch die
allgemeine Erwartung: zweitausend Jahre des Ausharrens, und noch
immer galt: Haltet Euch bereit.
    Wenn die es können, dachte Jordan, kann ich es auch.
Unter Berücksichtigung der vagen Möglichkeit, dass alle

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