Das Sternenprogramm
Spekulationen sich als irrelevant erweisen könnten, was
veranlasste ihn zum Weitermachen? Ein Kontakt mit einem
(angeblichen) Schwarzen Planer; ein Packen Geldscheine;
Besorgnisse aus unzuverlässigen Quellen hinsichtlich
seltsamer Vorgänge in den Netzwerken; und eine
unbestreitbare Serie spektakulärer Systemabstürze.
Er könnte eine Suche starten, Querverweisen nachgehen und
schauen, was sich daraus ergab. Er trank den Kaffee aus,
glättete die Bedienungsanleitung und tippte eine
Ziffernfolge ein, die alle anderen Gäste des Lokals
wahrscheinlich mit geschlossenen Augen schreiben konnten.
DoorWays™ öffnete ihm die Welt: die
Königreiche und Republiken; die Enklaven und
Fürstentümer; die Anarchien, die Staaten und Utopien.
Mit einem lautlosen Aufschrei stürzte er sich in die
Freiheit des Netzes.
Im virtuellen Raum war Beulah City sehr, sehr fern.
Der Himmel berührte hier wie anderswo auch die
Dächer. Als er die Hauptstraße entlangging, wurde Kohn
mit unausweichlicher Klarheit bewusst, dass der Himmel vor ihm
ebenso weit entfernt war wie der Himmel über ihm, eine
schwindelerregende horizontale Höhe. Er war sich der
Erddrehung ebenso deutlich bewusst wie eben noch der Tageszeit.
Nicht zum ersten Mal war er beeindruckt von der unerschrockenen
Unbekümmertheit der Spezies Mensch. Fortgewirbelt vom
Sonnenfeuer und abermals konfrontiert mit dem unendlichen
lichtgeröteten Dunkel, nahm sie jede Gelegenheit wahr, sich
zu amüsieren.
Janis tänzelte neben ihm her, ein warmer, geschmeidiger
Körper, der nackt in kühler Kleidung steckte und alle
paar Augenblicke von neuem seine Hand betastete. Er war sich
nicht sicher, welche Bedeutung dieser elektrische Kontakt
für sie hatte. Für ihn war er gleichbedeutend mit einer
Neustrukturierung seines Geistes, mit einer Freude, die
auszukosten er sich beinahe fürchtete, die aber gleichwohl
von jedem bloßen Blick auf sie oder in sein Inneres
erneuert wurde.
Sie bewegten sich schneller und müheloser als alle
anderen auf dem Gehsteig; Kohn bahnte sich geschickt einen Weg
durch die in Bewegung begriffenen Passanten. Als sie zwischen
summenden Autos, vorbeirasenden Fahrrädern und pfeifenden
Rikschas hindurch die Straße überquert hatten, sah
Janis ihn an, als wollte sie etwas sagen, schüttelte
stattdessen aber bloß den Kopf.
Norlonto roch wie eine Hafenstadt, wie ein Tor zur Welt: das
Gefühl, man bräuchte bloß über einen Spalt
hinwegzutreten, um ins Nirgendwo fortgetragen zu werden.
(Vielleicht war das Meer das ursprüngliche Land der
fünften Farbe, doch mittlerweile war es unwiderruflich
verschmutzt von der blutigen Tinte all der anderen Länder.)
Und außerdem vermittelte es das Gefühl, die Welt sei
hier zu Gast. Teilweise beruhte dies auf Einbildung: der
Großteil der Vielfalt ringsumher stammte aus der Zeit vor
den Luftschiffen und den Weltraumplattformen, gleichwohl aber
nahm Kohn hier und da das Klack-Klack von Magnetstiefeln wahr,
die Bergsteigerstatur und das schnoddrige Esperanto der orbitalen
Arbeiteraristokratie. Männer und Frauen, die einen Platz auf
einem Atmosphärengleiter ergattert hatten und nun ein
Monatsgehalt verjubelten, und zwar auf phantasievollere Weise,
als dies in Kasachstan, Guinea oder Florida möglich gewesen
wäre.
Die, welche ihnen dabei halfen, prägten die Menge und die
Ladenfronten: Prostituierte sämtlicher Spielarten,
Genpraxen, Straßenhändler, die Snacks und Trips
feilboten, VR-Händler und Lokale, in denen es alkoholische
Getränke und Drogen gab.
Das in einer Nebenstraße gelegene Lord Carrington
gehörte nicht zu ihnen.
»Das ist unser Lokal«, sagte Kohn stolz, als er
die Schwingtüren aus schwerem Holz, Glas und Messing
aufdrückte. Der Geruch nach Alkohol, Hasch und
Zigarettenqualm löste bei ihm eine Vielzahl von
Assoziationen aus und lockte mit Erinnerungen, Illusionen und
Vergessen. Er war sich nicht sicher, ob er diese Intensität
sein ganzes Leben lang ertragen könnte. Vielleicht musste
man sich erst daran gewöhnen. Dichter waren deswegen
gestorben; einige angeblich auch daran. Vielleicht war es bei ihm
vergebliche Müh; oder seine ureigene
Grobschlächtigkeit, die Unempfindlichkeit des Kämpfers,
würde ihm das Schicksal ersparen.
Zum Teufel damit!
Janis drängte sich an ihm vorbei durch die Tür, und
dann trat auch er hindurch und ließ die beiden Flügel
zurückschwingen.
Der Raum war langgestreckt und kühl. Der Tresen
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