Das stille Gold der alten Dame
sorgfältig
abgedunkelt wie bei der Verdunklung für den Luftschutz. Aber so düster war es
auf den zweiten Blick gar nicht. Von oben drang gelbliches Licht aus einem
Zimmer über eine Eichentreppe nach unten. Ich rannte die Treppe hinauf, in ein
Zimmer...
...wo mich ein zweiter trockener Knall
empfing.
Die Einrichtung des Zimmers bestand aus
einem massiven Tisch, einer niedrigen Kommode, einem Sofa, zwei geisterhaften
Sesseln unter Schutzhüllen und einem umgekippten Stuhl. Vor den Fenstern hingen
dicke, knallrote Samtvorhänge. Ein weiterer, halb zur Seite gezogener Vorhang
verdeckte eine Verbindungstür. Die Luft stank nach alten Kippen und frischem
Kordit.
Zwei Menschen befanden sich hier im
Zimmer. Der Mann lag auf dem verrutschten Teppich, genauso leblos in seinem
ebenfalls verrutschten Regenmantel wie der graue Hut neben ihm. Den Hut konnte
man wenigstens noch aufsetzen; der Kerl dagegen war zu nichts mehr zu
gebrauchen... Das Mädchen stand vor einem der Vorhänge. Ihre kleine Hand mit
den abgenagten Fingernägeln hielt einen noch rauchenden Revolver. Die
weitaufgerissenen braunen Augen blickten erschrocken, ohne etwas zu sehen.
Jedenfalls hatten sie nicht genau hingesehen, als ich auf der Bildfläche
erschienen war, sonst hätte ich mir gut und gerne eine Kugel eingefangen.
Mit vorgehaltener Kanone machte ich
einen Satz über Célestins Leiche und packte den nackten Arm der Kleinen. Sie
wehrte sich wortlos. Nur ein klagender Laut kam über ihre blutleeren Lippen.
Ich verdrehte ihr das Handgelenk, bis sie die Waffe fallenließ. Ich dagegen
ließ das Mädchen nicht los, während ich den Revolver mit einem Fußtritt außer
Reichweite beförderte.
Und da passierte etwas Unerwartetes.
Allerdings erwarte ich es immer, das Unerwartete...
Sie trug einen langen, weiten
Morgenrock aus schwarzer Seide, dessen großzügiges Dekolleté ihre Schultern
bloßlegte. Ich weiß nicht, wie es passierte. Vielleicht schüttelte ich die
Kleine zu heftig; vielleicht zerrte ich auch im Eifer des Gefechts zu sehr an
dem Stoff; vielleicht war der Morgenrock nicht für solche Behandlung gedacht...
Kurz und gut, er glitt zu Boden, wo er einen fließenden See bildete.
Suzanne stand vor mir wie die
Wahrheit: splitterfasernackt, ohne Slip oder Feigenblatt, mit nichts als ihrer
makellosen Schönheit. Ihre kleinen jungen Brüste zitterten vor Erregung oder
Atemnot. Sie stand da, aufrecht, unbeweglich, herrlich unkeusch, wie aus einer
giftigen Pflanze emporgewachsen. Ich ließ sie los, ebenfalls außer Atem. Diese Marie-Chantal konnte einem aber auch den Atem
verschlagen! Mal von den Revolverschüssen abgesehen...!
„Mein Gott! Mein Gott!“ schluchzte
ihre Tante hinter mir.
Sie stand schon eine ganze Weile im
Zimmer. Ich hatte ihren Schweißausbruch wahrgenommen, der alle anderen Gerüche
verjagte. Ich legte Suzanne die Hände auf die Schultern.
„Und nun?“ fragte ich sanft. „Begrüßt
man so seine Freunde? Empfängt man so den Märchenprinzen? Erkennen Sie mich
nicht wieder? Nestor, der Märchenprinz. Der lustige Vogel, der sich für Artagnan hält.“
Schweigend sah sie mich an mit ihrem
leeren, unergründlichen Blick. Gut. Ich konnte warten. Inzwischen half ich ihr
endgültig aus ihrem seidenen Gewand, ein Bein nach dem andern. Kein Widerspruch
ihrerseits. Keine Wirkung meinerseits. Andere Puppen sind mit Holzwolle
vollgestopft, die hier mit Drogen. Eine verrückte Puppe, die mich genausowenig erregte wie das Foto des Mister Universum. Ich
führte die Puppe am Arm zum Sofa. Sie ließ sich führen, wie im Traum... und wie
auf Eiern, wegen der hohen Absätze (die Schuhe waren das einzige, was sie am
Leib trug). Ich hatte das Gefühl, diese Szene schon einmal erlebt zu haben. Vielleicht
im Traum. Das erinnerte mich an eine Zeichnung, die das Buch von Hervey
Saint-Denis schmückt. Ein Buch über Träume. Eine nackte Frau, ein bekleideter
Mann. Nur... das hier war kein Traum! Ich setzte die nackte Kleine aufs Sofa.
Mit einer bunten Stola, die irgendwo rumlag, bedeckte ich ihre Schultern und
Brüste. Wenigstens etwas. Die langen Fransen mußten ihre Schenkel kitzeln, aber
sie zeigte keine Reaktion. Jedenfalls nicht sofort. Plötzlich murmelte sie mit
ängstlicher Stimme:
„Was hab ich getan? Was hab ich
getan?“
„Überhaupt nichts.“
„Aber ich...“
Sie sah zur Leiche hin.
„Ich hab den Mann da getötet.“
„Nur keine Panik. Das kommt alle Tage
vor. Sie haben auch auf mich geschossen. Aber das ist auch nichts
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