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Das stille Gold der alten Dame

Das stille Gold der alten Dame

Titel: Das stille Gold der alten Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Malet
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gestreiften Westen
und den beiden alten Chauffeursmützen , die neben drei
Paar ausgelatschten Schuhen auf einem Brett lagen. Für mich war überhaupt
nichts dabei. Nirgendwo. Was hatte ich mir vorgestellt?
    Über einem Stuhl hing ein karierter
Rock, den ich schon mal gesehen hatte: gestern nachmittag , bei Suzanne. Daneben lag die blaue Hemdbluse, an der einige Knöpfe fehlten, und einer dieser
schwarzseidenen Regenmäntel, die so leicht sind wie Zigarettenpapier. Auf dem
Stuhlsitz standen die Ballerinaschuhe . Das Mädchen
hatte sich also hier umgezogen. Mantel, Rock, Bluse ,
Schühchen. Kein Slip, kein Büstenhalter, keine Strümpfe. Auf Slip und
Büstenhalter konnte man gut verzichten unter dem verführerischen Seidengewand.
Völlig überflüssig. Aber Strümpfe? Die erotisch-sentimentale Sexualerziehung
von Marie-Chantal wies erhebliche Lücken auf.
    Als nächstes nahm ich mir das
Badezimmer vor. Ein einwandfrei funktionierendes Weinkeller-Bar-Badezimmer.
Alles in einem. Unter dem Waschbecken standen mehrere leere Flaschen und zwei
halbvolle. Halbvoll mit Gin. Ich tat so, als sähe ich sie nicht, und begab mich
wieder zu Bénech, der immer noch auf die Verpackungskünstler
von Borniol wartete. Die Leiche wurde schon
elfenbeinfarben, wie die Haare. Die Gesichtszüge hatten einen harten Ausdruck
angenommen. Ich kniete nieder. Nicht um zu beten, sondern um die Taschen zu
durchsuchen. Daran hätte ich schon früher denken können. Doch was ich fand —
Taschentuch, Schlüssel, Zigaretten, Streichhölzer, Notizbuch, Brieftasche — , dafür hätte ich mir das Denken sparen können. Im
Notizbuch stand nichts Interessantes. Hauptsächlich leere Seiten. Und die
Adresse der Baronin d’Aurimont kannte ich ja schon.
Die Brieftasche enthielt etwas Geld, die üblichen Ausweispapiere und ein Foto
von Suzanne im Bikini.
    Ich richtete mich wieder auf und
betrachtete den Toten.
    Das Einfachste, wenn auch nicht das
Geschmackvollste, wär’s gewesen, mir die Leiche auf den Rücken zu packen und
sie in die gute alte Seine zu schmeißen. Besser noch: sie im Garten oder im
Keller zu verbuddeln . Das hätte Suzanne geschont. Ja,
sie mußte geschont und gepflegt werden. Aber wer sich vor allem schonen und
pflegen mußte, war ich!
    Ich stopfte der Leiche die
Siebensachen wieder in die Taschen.
    „Auf bald, mein Lieber“, sagte ich.
    Meine Stimme wanderte durch den Raum
und erstarb — wie Célestin! — in den Falten der Samtvorhänge.
    Draußen fing es schon an zu tagen. Wie
immer in den ersten Morgenstunden spürte man die Kälte. Ich fröstelte und
schlug den Kragen hoch. Die Vögel in den Bäumen der türkischen Botschaft hatten
den strengen Winter satt. Aus voller Kehle begrüßten sie den jungen
Frühlingsmorgen. Glückliche Vögel! Gefiederte Schreihälse! Lebhaft, flatterhaft
und unbesorgt. Ich dagegen fühlte mich hundeelend. Meine pelzige Zunge
schmeckte nach Tabak.
    Ich ließ meinen Wagen am anderen Ende
der Straße stehen. Zu Fuß ging ich die Rue Berton hinunter, in Richtung Avenue
Marcel-Proust und Rue d’Ankara . Kurz vor der Biegung,
fast genau vor dem Portalvorbau der türkischen Botschaft, glitt ich auf einem Ölflecken aus, den ein parkendes Auto hinterlassen hatte.
Beinahe wäre ich hingefallen. Durch die Rue d’Ankara gelangte ich zum Quai de Passy. Der Fluß dampfte. Alles war grau in grau. Eine
scheußliche Farbe. Ein Auto raste vorbei, glücklich, die Fahrbahn für sich ganz
alleine zu haben. Durch den Fahrtwind wurde eine Zeitung hochgewirbelt. Jetzt
klebte sie an meinen wackligen Beinen.
    Die beiden Bistros unter dem Viadukt
der Metro hatten noch geschlossen. Es war noch sehr früh. Bald würde die Metro
ihren Betrieb aufnehmen und ihre erste Ladung verschlafener Menschen zu den
Fabriken bringen. Ich sah die Lichter der Station Passy. Auf der anderen
Seite der Seine hielt der Eiffelturm Wache. Das Gerippe war mal unwirklich nah,
dann wieder nur sehr verschwommen zu sehen. Mußte wohl an meinen müden Augen
liegen.
    Ein paar Schritte weiter, auf der
Avenue de New York (die nicht die Verlängerung des Quai de Passy ist!),
herrschte in einer halbgeöffneten Kfz-Werkstatt so was wie Leben. Ein Mann in
weißem Kittel harrte in seinem Glaskasten der Dinge, die da kommen würden. Ich
durfte sein Telefon benutzen, trotz dem hochgeschlagenen Kragen, meinen
dreckigen Händen und meiner Pappmache-Fresse. Ich wählte Faroux’ Privatnummer.
Schon nach dreimaligem Läuten wurde abgehoben. Eine rauhe Stimme

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