Das stille Gold der alten Dame
Beamte enttäuscht.
Mein Beruf schien ihm nicht zu
gefallen. Betrachtete mich wohl als ‘ne Art Vorbestraften. Mit einer eleganten
Bewegung zog er Hose samt Koppel hoch, um sich die nötige Beinfreiheit zu
verschaffen. Nötig wozu? Wollte er vielleicht tanzen? Sah so aus.
„Er hat nämlich die Leiche entdeckt“,
fuhr Kommissar Faroux fort. „Mit so was verbringt er seine Nächte.“
Der reviervorstehende Beamte sah auf
den Revolver, als handelte es sich um was ganz Außergewöhnliches. Faroux nahm
die Waffe in seine knochigen Hände.
„Die Tatwaffe?“ fragte er mich.
„Ja.“
„Warum haben Sie sie nicht
liegenlassen?“
„Hab sie ganz mechanisch eingesteckt.“
„Na schön. Erinnern Sie mich daran,
daß ich Ihnen ein Taschentuch schulde.“
Er steckte den Revolver ein.
„Ah, das ist ja wunderbar“, rief der
Beamte. „Ein Verbrechen? Heute nacht ? In der Rue
Berton?“
Er gab sich keine Mühe, seine Zweifel
zu verbergen. Kopfschüttelnd fuhr er fort:
„Hab nichts davon gehört, heute nacht , Kommissar.“
Damit wollte er wohl sagen: Der
Private hat die Geschichte erfunden, um sich wichtigzutun.
„Das Viertel hier ist vollkommen
ruhig.“
„Ruhig, still und friedlich“, lachte
Faroux ungeduldig. Der Kollege ging ihm so langsam auf den Wecker. „Bevor ich
hergefahren bin, hab ich nachgesehen, was alles in der letzten Zeit so passiert
ist hier in der Gegend. Das mach ich immer, wenn mein Freund Burma in
eine Sache verwickelt ist. Der hat nämlich ‘ne Nase für komplizierte
Verwicklungen. Am besten, man weiß über alles Bescheid, was sich so in den
letzten Jahren abgespielt hat, sagen wir seit der Revolution. Die von 1789
meine ich. Das hilft. Man kennt sich dann fast so gut aus wie er und verliert
ihn nicht aus den Augen. Also, eine ruhige Gegend, sagten Sie? Stimmt! Zum
Beispiel letzte Woche: die splitternackte Frau, die in der Rue Jasmin aus der
fünften Etage gefallen ist. Sie ist völlig ruhig liegengeblieben, bis
ein Milchmann über sie gestolpert ist. Von der Arzttochter aus der Rue Scheffer
ganz zu schweigen. Oder vom Concierge aus der Avenue Henri-Martin. Beide sind
überfallen worden...“
„Das... das sind Ausnahmen“, stotterte
der Beamte, rot wie ein Hahn, aber weniger angriffslustig. „Ausnahmen
bestätigen die Regel. Alles in allem ist das ein ruhiges Viertel“, beharrte er.
War wohl Mitglied im Verein ,Unser Arrondissement ist das schönste’.
„Ein ruhiges Viertel mit ruhigen
Leuten“, fügte er noch hinzu.
„Wir sollten vielleicht jetzt in die
Rue Berton gehen“, schlug ich vor. „Dort wartet ein ganz ruhiger Mann auf uns.
Ein weiterer Beleg für das ruhige Viertel.“
* * *
Die wurmstichige Bank mit den ehemals
grünen Latten schien extra für uns aufgestellt zu sein, zwischen einem Baum und
dem kleinen Bassin. Florimond Faroux sah sie mürrisch
an und sagte:
„Setzen wir uns!“
In dem Häuschen tummelte sich eine
ganze Armee von Uniformierten. Alle Formate und Farben waren vertreten: dicke
Graue und dünne Blaue. Flics aus dem Revier und
Beamte vom Quai des Orfèvres , zur Verstärkung. Nicht
zu vergessen die Zauberer vom Erkennungsdienst mit ihren Fotoapparaten und dem
ganzen Kram.
Wir setzten uns auf die Gartenbank.
Der Kommissar holte einen Tabaksbeutel
und Zigarettenpapier aus seiner Tasche und fing an zu drehen. Dann zündete er
die krumme Zigarette an und warf das Streichholz ins Wasserbecken.
„Fassen wir zusammen“, begann er.
„Eine gewisse Madame Ailot, die wir gleich sehen werden...“
Bei dem Gedanken seufzte er, so als
warte eine schreckliche Knochenarbeit auf ihn.
„...engagiert Sie. Sie sollen sich mit
ihrem ehemaligen Chauffeur in Verbindung setzen, den die Frau des Diebstahls
verdächtigt.“
„Sie verdächtigt ihn nicht des
Diebstahls“, warf ich ein, „sie ist sicher, daß er ihren Schmuck geklaut hat.“
„Und Sie?“
„Ich auch. Yves Bénech hat mit ihr
geschlafen, wenn man das so nennen kann. Er hat auch mit ihrer Nichte
geschlafen...“
„Er hat wohl ziemlich viel geschlafen,
hm?“
Faroux seufzte wieder. Diesmal
wahrscheinlich über seine verlorene Jugend.
„Und selten alleine, ja. So Leute
gibt’s. Bénech gehörte zu denen. Ganz bestimmt hat er auch das Zimmermädchen im
Hotel de l’Assomption beschlafen. Und auf die Baronin
von Aurimont hatte er auch schon ein Auge geworfen.
Nicht faul, der Bursche.“
„Die Baronin von Aurimont ?
Ach ja, die aus der Rue de l’Alboni , bei der er
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