Das stille Gold der alten Dame
brüllte:
„Was ist?“
Gleich der Alte, schon eine
Viertelstunde nach dem Aufwachen, ohne Übergang.
„Faroux?“ fragte ich.
„Ja, und?“
„Schön. Hier Nestor Burma.“
„Das darf doch nicht wahr sein! Wissen
Sie, wie spät es ist? Wann schlafen Sie eigentlich? Und eine Stimme haben
Sie...“
„Manche schlafen, manche haben
überhaupt keine Stimme“, belehrte ich ihn.
„Ach ja? Und was soll das?“
„Ich habe einen ohne Stimme.“
„Einen was?“
„Einen Toten. Den ersten der Saison.“
Florimond Faroux hatte mich in die Rue Bois-le- Vent bestellt, auf das Kommissariat La Muette .
Ich wartete jedoch in angemessener Entfernung auf ihn. Man weiß nie, welche
Überraschungen auf einen zukommen; vor allem, wenn man so zerknautscht aussieht
wie ich an diesem Morgen. Kurz nach sechs erschien der Chef der Kripo auf der
Bildfläche, zusammen mit einem seiner Leute vom Quai des Orfèvres . Wie rührend. Diese Flics treten immer paarweise auf. Dabei gelten sie als mutig. Na ja, Faroux hatte
jedenfalls Inspektor Fabre im Schlepptau.
So langsam belebten sich die Straßen.
Ich war — als erster Gast!-
ins Paris-Passy gegangen, ein Bistro
an der Ecke Rue de l’Annonciation . Zwei
Riesen-Sandwiches, zwei Mineralwasser, zwei stärkere Wässerchen, zwei noch
stärkere Tassen Kaffee und zwei Aspirin sollten mich wieder auf die Beine
bringen und meine Augen gradesetzen. Alles paarweise, genauso wie die Flics . Hinterher noch eine gute Pfeife, und dann war ich
wieder auf dem Damm.
Vom Bistro aus sah ich den
marineblauen Renault aus der Rue de Passy kommen. Er kurvte um die
Verkehrsinsel der R.A.T.P. und hielt vor der Polizeiwache.
Die beiden Flics stiegen aus. Ich ging zu ihnen.
„Na, Sie?“ begrüßte mich Faroux. „Mal
wieder dick in der Tinte?“
„A propos Tinte: schon was getrunken?“ fragte ich zurück.
Wir gaben uns die Hand.
„Lassen Sie die Späße am frühen
Morgen. Erzählen Sie mir lieber, was das Theater wieder soll!“
„Das ist kein Theater. Nur das nackte
Leben... oder der Tod. Ganz einfach. Hab ich Ihnen doch schon am Telefon
erklärt.“
„Genau das macht mir Sorgen. Seit wann
kümmern Sie sich um ganz einfache Dinge?“
„Seit heute nacht .
Einmal ist immer das erste Mal.“
„Hm..“
Faroux verzog das Gesicht und hob die
Schultern.
„Fabre kennen Sie ja, oder?“
Er wies mit dem Daumen auf den
Inspektor.
„Ja, wir hatten schon das Vergnügen“,
bestätigte ich.
Inspektor Fabre streckte mir lächelnd
die Hand hin.
„Auf den Champs-Elysées . Sie wohnten damals im Cosmopolitan Palace . Und sahen etwas flotter aus, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.“
Die Kollegen taxierten mich mit
Kennerblick.
„Sie sehen tatsächlich ziemlich
schlimm aus“, stellte Faroux fest.
„Mein lieber Freund“, lachte ich. „Man
kann nicht eine Treppe runterfallen, eine Leiche entdecken und einen Kommissar
aus dem Bett schmeißen, ohne daß das Spuren hinterläßt .“
„Eine Treppe? Davon haben Sie mir am
Telefon gar nichts gesagt.“
„Ich wollte Ihnen nicht gleich alles
verraten. Das Wesentliche hat schon gereicht. Neben mir stand der Kerl, der mir
sein Telefon geliehen hatte. Fragte sich sowieso schon, was er von mir halten
sollte. Womöglich hätte er noch die Flics alarmiert...“
„Na schön. Gehen wir rein!“
Das Revier befindet sich zwischen einem
Modegeschäft und einer Apotheke. Ich finde, neben Polizeibüros sollten immer
Apotheken eingerichtet werden. Wär’n tröstlicher Gedanke.
Faroux ging zum Chef vom Dienst und
stellte sich vor. Die Uniformierten, die an einem Tisch im Hintergrund belote spielten, ließen die Karten fallen, sprangen
auf und grüßten.
„Guten Morgen, Kommissar“, sagte der
Chef. „Was bringen Sie uns Schönes?“
Er sah mich neugierig an.
„Arbeit“, sagte Faroux. „ Heute nacht ist hier im Revier ein
Verbrechen begangen worden. Ich brauch ein paar Männer, die sich das mit mir
aus der Nähe ansehen.“
„Ein Verbrechen?“
Der Beamte sah mich noch neugieriger
an.
„In der Rue Berton“, erklärte ich.
„Hiermit.“
Ich holte den Revolver aus der Tasche
und warf ihn auf den Tisch. Er war immer noch in das Taschentuch gewickelt. Der
Beamte sprang fast an die Decke.
„Großer Gott!“ brüllte er und starrte
mich an.
„Das ist nicht der Mörder“, stellte
Faroux klar. Manchmal kapiert mein Freund sehr schnell. „Das ist Nestor Burma,
so was wie’n Kollege . Privatdetektiv.“
„Ach so“, sagte der
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