Das stille Qi Gong nach Meister Zhi-Chang Li: Innere Übungen zur Stärkung der Lebensenergie (German Edition)
Himmelsauge gerichtet wird, entsteht zuerst ein Dröhnen im Kopf, gefolgt von einem Gefühl des Schwebens. Dann beginnt sich ein Bild zu gestalten, erst vage, dann immer deutlicher. Hinterher folgt ein starkes Gefühl der Erschöpfung.
Als Vierzehnjähriger wurde er von seinem Lehrmeister aufgefordert, mit dem Diagnostizieren und Behandeln zu beginnen. Obwohl er – in einer klassischen Weise und verborgen vor den Augen der kommunistischen Oberen – eine gründliche Ausbildung in traditioneller chinesischer Medizin erhielt und einundzwanzig Jahre lang als Akupunkturarzt in chinesischen Krankenhäusern arbeitete, galt sein Hauptinteresse doch immer der taoistischen Inneren Kunst, die in den fünfziger Jahren den offiziellen Namen Qi Gong erhielt.
Diese Ausbildung hinderte den jungen Zhi-Chang nicht daran, sich für westliche Sportarten wie Boxen, Fechten und Fußball zu begeistern. Auch die bevorzugten Schulfächer Physik und Mathematik lagen nicht unbedingt auf der Linie eines zukünftigen Qi-Gong-Meisters. Im Alter von achtzehn Jahren kam eine plötzliche Wende. Er verlor alle Lust am Sport und widmete sich ausschließlich nur noch den Disziplinen Taijiquan und Qi Gong.
Während der Kulturrevolution durfte Zhi-Chang Li, wie so viele andere, seinen erlernten Beruf nicht ausüben. Unter den verschiedenen Tätigkeiten, die ihm aufgezwungen wurden, war die illustreste, wie er amüsiert berichtet, die des Gerichtsbeisitzenden an einem kleineren Gericht in Peking. Das Qi Gong gab er während der Kulturrevolution nicht auf. Im Untergrund waren weiterhin taoistische und buddhistische Lehrmeister tätig, und wenn es auch nicht ungefährlich war, zu den Adepten zu gehören, nahm er doch jede sich bietende Gelegenheit wahr, seine Schulung weiter zu vertiefen.
Unter seinen Lehrmeistern, die ihn insgesamt vierhundert bis fünfhundert Übungen lehrten, waren die bekannten Qi-Gong-Meister Gui Ning und Liu Gui Zhen. Die tibetischen Übungen wurden ihm in den siebziger Jahren von Lama Zhoba (ein ausführlicherer Name ist nicht bekannt) in dem tibetisch-buddhistischen Kloster Angzang (Kreis Angzang) am tibetischen Rand der Provinz Sizhuan (Sechuan) vermittelt.
Meister Zhi-Chang Li vermittelt eine Kombination von taoistischen und chinesisch-buddhistischen Übungen, dazu auch einige Übungen aus der tibetisch-buddhistischen Tradition des »Energie-Yoga« (Tsa Lung) . Er ist der klassischen Inneren Alchimie Chinas in Theorie und Praxis zutiefst verbunden, und es liegt ihm sehr am Herzen, diese Tradition – zumindest das, was von ihr noch übrig ist – zu bewahren. Doch zugleich hält er auch eine Integration von östlicher Weisheit und Methode und westlicher Wissenschaft für notwendig, um Qi Gong in der westlichen Welt zu verbreiten.
Als ein Gegner puristischer Abgrenzungen hat er mit einigen Traditionen, die er für überflüssig hält, gebrochen. Dazu gehört seine Kombination von taoistischen und buddhistischen Übungen, die noch heute von traditionell orientierten Qi-Gong-Meistern abgelehnt wird. Er hat die Ausbildungszeit abgekürzt und stellt es der eigenen Verantwortung seiner Schüler anheim, eine Übungsdisziplin aufzubauen und für sich selbst passende Übungsfolgen zusammenzustellen. Und er empfiehlt, sich, wenn nötig, um westliche therapeutische Hilfe (wie etwa Atemtherapie) zu bemühen, um eine geeignete Basis für die Übung des Stillen Qi Gong zu schaffen.
Die Praxis des Yi Qi Gong
Die hier vorgestellten Übungen des Yi Qi Gong stammen sowohl aus der taoistischen wie aus der buddhistischen Tradition. Man kann ihre jeweilige Eigenart in einigen grundsätzlichen Punkten unterscheiden [114] :
Taoistische Übungen verwenden das Meridiansystem der chinesischen Medizin, das um spezielle Qi-Gong-Kanäle erweitert ist; sie haben einen zentrierenden Charakter und sind im Allgemeinen »geschlossener« als die buddhistischen Übungen. Bei taoistischen Übungen gilt als Grundregel, dass die Augen »leicht geschlossen« oder einen ganz kleinen Spalt geöffnet sind.
Buddhistische Übungen sind nicht am chinesischen Meridiansystem orientiert, sondern beziehen sich auf einen zentralen vertikalen Kanal in der Mitte des Körpers. Aus Tibet stammende Übungen, von denen Meister Zhi-Chang Li ebenfalls einige vermittelt, bedienen sich eines mittleren Kanalsystems (ein Hauptkanal und zwei Seitenkanäle) zwischen dem Unteren Dantian (Qi-Speicher im Unterbauch) und dem Scheitelpunkt. Dieses System stammt ursprünglich aus
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