Das stille Qi Gong nach Meister Zhi-Chang Li: Innere Übungen zur Stärkung der Lebensenergie (German Edition)
Erwartungen, Gier nach sensationellen Erfahrungen und so weiter. Dieser Widerstand kann durch Übungen, die der Entspannung und Beruhigung dienen, und durch die Steuerung der geistigen Aktivitäten abgebaut werden, in unserem Fall durch die Konzentration/Sammlung auf den imaginierten – und mit der Zeit real erspürten – ungehinderten Verlauf des Qi. Wird der Widerstand bewusst abgebaut, kann der Strom des Qi mit voller Kraft fließen. Deshalb sind im Anfangsstadium Übungen zur Entspannung ganz besonders wichtig.
Ab einem gewissen »Spannungsniveau« sind schließlich gar keine Bewegungen mehr nötig. Meister Li sagt: »Je höher das Übungsniveau, desto unsichtbarer die Übung.«
Das Achten auf die Atmung hat ebenfalls unterstützenden, aber nicht primären Charakter, obwohl es am Anfang eher umgekehrt zu sein scheint. Es ist bekannt, dass die Art und Weise, wie ein Mensch atmet, in einem direkten Zusammenhang mit seiner emotionalen Verfassung steht. Große Aufregung ist immer mit einem schnellen, flachen Atem verbunden, Angst und Schrecken können einem »den Atem verschlagen« oder »den Atem stocken lassen«, körperliche oder geistige Anspannungen lassen uns »außer Atem« kommen, man kann vor Furcht »nicht mehr zu atmen wagen«. Emotionale Gewohnheitsmuster sind mit Atemmustern gekoppelt (ebenso wie mit Haltungsmustern, Bewegungsmustern und organischen Funktionsmustern). Wenn man sich bemüht, tiefer und ruhiger zu atmen, ist die besänftigende Wirkung auf die Gemütsverfassung schnell zu erkennen. Untersuchungen haben außerdem gezeigt, dass ein vertiefter Atem, der zu einer Sauerstoffanreicherung des Blutes führt und durch die stärkere Atembewegung physiologische Prozesse stimuliert, eine nachweisbare Heilwirkung hat.
Doch die Qi-Gong-Praxis setzt noch tiefer an. Der Atem ist eine Quelle des Qi (und »Atem« ist eine der Bedeutungen des Begriffs Qi), aber nach dem Verständnis des Qi Gong ist er nicht das »wahre Qi« selbst. Im Qi Gong wird das subtile Qi auf direktem Weg durch die Kraft der Vorstellung aktiviert; dabei dient die Vorstellung als Mittler zwischen dem Wissen um die Gesetzmäßigkeiten der Qi-Funktion und der Aktivität des Qi selbst. Bei manchen Menschen ist dieses Wissen in unsystematisierter Form auf einer intuitiven Ebene vorhanden, doch das kommt recht selten vor. Die Mehrzahl muss sich dieses Wissen erst aneignen. Allgemeine Wunschvorstellungen, die sich auf das Wirken einer vermuteten vitalen Energie richten, ohne sich auf genauere Kenntnis ihrer Funktionsweise zu stützen, können zwar auch erfolgreich sein, aber in einer wesentlich schwächeren Form. Wenn man versucht, imaginative Vorstellungen ohne Kenntnis der Gesetzmäßigkeiten des Qi gezielt einzusetzen, ist es möglich, unwissentlich mit diesen Gesetzmäßigkeiten in Konflikt zu kommen; in diesem Fall kann das Resultat negativ sein, also eher zur Schwächung als zur Stärkung führen.
Der Atem
Einfachere Formen des Qi Gong nehmen in größerem Maß den Atem zu Hilfe als die höheren Formen. Physiologisch betrachtet dient das Atmen dazu, der Lunge Sauerstoff zuzuführen und Kohlensäure sowie andere Abfallstoffe zu entfernen. Die roten Blutkörperchen nehmen den Sauerstoff auf und transportieren ihn zu den Organen und ins Gewebe. In den Zellen wird die chemische Energie der Nährstoffe durch Oxidation (Verbrennung) in eine für die Zelle leichter nutzbare Energie überführt. Die Zelle verwendet die durch die Nährstoffoxidation gewonnene chemische Energie zur Leistung biologischer Arbeit wie zum Beispiel Leistungen der Muskeln, der Nerven, der Drüsen und des Gehirns, osmotische und elektrische Arbeit und die chemische Arbeit des Wachstums. Die bei der Oxidation entstehenden Abfälle werden durch die Lunge, die Blase, den Darm und durch die Haut ausgeschieden. Für die Lunge ist das gründliche Ausatmen von großer Wichtigkeit. Mangelhafte Ausatmung führt zu einer Ansammlung von Kohlensäure (einem für den Körper sehr giftigen Stoff) und einer verminderten Kapazität zur Aufnahme von Sauerstoff. Das Blut wird durch den Überschuss an Kohlensäure »vergiftet«, wird »dicker« (die roten Blutkörperchen schrumpfen und verkleben miteinander), der Blutdruck steigt, und der Kreislauf wird geschwächt. Es ist also vom physiologischen Standpunkt aus sehr wichtig, sich um eine gute Sauerstoffversorgung zu bemühen.
Auch auf der psychischen Ebene spielt der Atem eine große Rolle. Der Bioenergetiker Alexander Lowen
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