Das stille Qi Gong nach Meister Zhi-Chang Li: Innere Übungen zur Stärkung der Lebensenergie (German Edition)
»Nabelschau« verspotten.
Ist Qi Gong »gefährlich«?
In Traditionen eingebettete Systeme wie die östlichen Meditationswege und Yoga sind jahrhunderte- oder gar jahrtausendelang erprobt und verfeinert worden und mit den Absicherungen versehen, die nötig sind. Dazu gehörte, dass sie als »Wege« mit einer Abfolge von Stufen aufgebaut waren, und es wurde stets gewarnt, dass es gefährlich sei, mit allzu großer Ambition oder Ungeduld Vorbereitungen abzukürzen und Stufen zu überspringen. Das Gebot der »Geheimhaltung« diente ursprünglich nicht elitären Zwecken, sondern dem Schutz der Unerfahrenen.
»Energieunfälle«, zu denen es im Westen gekommen ist – soweit sie überhaupt bekannt geworden sind –, ergaben sich weniger aufgrund von Veröffentlichungen in Büchern, sondern waren die Folge von Kursen und Workshops, in denen in inkompetenter Weise (oft ohne entsprechende Ausbildung und Autorisierung) mit den subtilen Energien gespielt wurde – »gepowert«, wie der neu geprägte Begriff in der esoterischen/psychologischen Szene dafür lautet. Meister Zhi-Chang Li sieht das Yi Qi Gong hingegen als einen Stufenweg an, der, wenn man ihm unter guter Führung folgt, keine ernstzunehmenden Gefahren birgt:
Es gibt in der Qi-Gong-Ausbildung einen Stufenweg oder verschiedene Ebenen; ein einfaches Ziel ist es, im Fall von Krankheit den Genesungsprozess zu beschleunigen beziehungsweise die Gesundheit zu kultivieren, die Immunkräfte zu stärken und das Niveau der Vitalität zu heben. Ein tragender Aspekt der inneren Qi-Gong-Praxis ist geistige Entspannung. Geistige Entspannung führt zu Ruhe. Ruhe führt zu einem besonderen Zustand, in dem sich Einsicht entfaltet. Durch diese Einsicht kann der eigene Geisteszustand aus anderer Perspektive gesehen werden – man erkennt sich wirklich selbst. Dazu ist natürlich die Führung durch einen erfahrenen Lehrer nötig. Das höchste Ziel des Yi Qi Gong ist die Rückkehr des Menschen zur Natur, die Rückkehr in den Kosmos; das ist gemeint mit der Formulierung »Xü, die Leere, erreichen und zum Tao zurückkehren«. »Leere ereichen« ist gleichbedeutend mit völliger geistiger Entspannung. Das bedeutet auch, klar zu durchschauen, was in der Welt geschieht; es bedeutet, sich von allen Verwirrungen zu trennen. Das lässt sich natürlich nicht durch Denken erreichen. Dazu ist die Praxis nötig.
Das Prinzip der geistigen Entspannung, zentraler Inhalt jeglicher traditioneller Meditationspraxis, durchdringt vom obersten Stockwerk her – wenn wir beim Modell der drei Ebenen bleiben wollen – die unteren Stockwerke und schafft die Grundvoraussetzung, die gegeben sein muss, damit eine sinnvolle Anwendung und Auswirkung der Qi-Gong-Praxis garantiert ist. Ohne diese Orientierung in Richtung »Einsicht« kann sich die Energiearbeit so auswirken wie Wasserdruck in einem Gartenschlauch, der unkontrolliert herumfliegt, wenn nicht eine kundige Hand den Wasserstrahl in die passende Richtung lenkt. Auf wissenschaftlicher Ebene werden natürliche gesetzmäßige Veränderungen festgestellt, die sich durch eine Verstärkung von Input-Energie ergeben:
Der energetische Zustand eines offenen Systems bleibt relativ stabil, solange die Input-Energie sich nur geringfügig ändert, wird jedoch unter großen Veränderungen instabil. Wenn wir etwa einen Wasserhahn so weit aufdrehen, dass das Wasser in einem sanft wirbelnden Strahl strömt, so bleibt das Fließmuster des Strahls auch dann erhalten, wenn wir den Hahn ein wenig weiter öffnen oder zudrehen. Wenn wir den Wasserstrahl jedoch erheblich verstärken, wird der Strahl entweder zu einem völlig chaotischen Spritzen, oder er stabilisiert sich auf einer höheren »Schwingungsebene« zu einem neuen Fließmuster … Wir sehen dieses Prinzip überall in der Natur am Werk … überall die Tendenz, bei einem plötzlichen Energieschock entweder zu einem viel tieferen Niveau abzusinken, ins Chaos, oder zu einer höheren Ordnungsebene aufzusteigen. [195]
Wenn heute zunehmend Texte und Übungsanleitungen veröffentlicht werden, die noch vor kurzem strengster Geheimhaltung unterlagen, können wir, anstatt Schlimmes zu befürchten, dies als eine Herausforderung zu größerer Selbstverantwortlichkeit betrachten. Wer sich auf diese Arbeit mit den eigenen Potenzialen einlässt, muss notwendigerweise Verantwortung für sich selbst übernehmen, umso mehr, wenn die alten Formen – in denen die Schüler stets in engster Verbindung mit dem Lehrmeister
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