Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Stockholm Oktavo

Das Stockholm Oktavo

Titel: Das Stockholm Oktavo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Engelmann
Vom Netzwerk:
auf einem sechsspännigen Schlitten vorausgeschickt. Er wird allermindestens drei, vier Wochen weg sein – allerhöchstens für immer, wenn die Gerüchte wahr sind«, sagte er.
    »Was sind das für Gerüchte?«
    »Ach, alles Mögliche. Manche sagen, Pechlin plant seinen eigenen Aufstand und will an Gustavs Stelle die Königin als hübsche Marionette einsetzen.«
    »Eine Dänin auf dem Thron? Niemals. Was ist mit Herzog Karl?«
    »Ja, der Herzog will den Thron, er kann aber seinen Bruder nicht stürzen. Man sagt, die Patrioten würden Gustav für ihn wegzaubern. Andere meinen, die Bürgerlichen werden am Ende das Sagen haben, und es wird gar keinen König mehr geben.«
    »Und was meinen Sie?«
    Er spuckte einen Brocken Kautabak auf die Straße. Jetzt war er meinen Fragen gegenüber misstrauisch geworden. »Gustav ist noch immer König, oder?«
    Wir fuhren schweigend in die Kocksgränd, und der Kutscher zog ruckartig die Zügel.
    »So eine geschickte Fahrt auf diesem verdammten Eis«, sagte ich, bezahlte und gab ihm ein lächerliches Trinkgeld. Er nahm es mit einem Nicken, seine Mundwinkel hoben sich kaum merklich. »Ob Sie wohl so freundlich wären und mir mit dieser Truhe die Treppen zu meiner alten Tante hinaufhelfen könnten? Sie war krank und braucht während ihrer Rekonvaleszenz diese Medikamente und Bücher.« Ich ließ die Münzen in meiner Tasche klimpern, er sprang vom Kutschbock, kam mit einem dumpfen Knall auf und packte den Henkel der Truhe, um sie herauszuziehen.
    »Bücher und Medikamente? Die muss voll mit Steinen sein – um Ihrer Tante die Taschen schwer zu machen und sie ins Meer zu werfen!«, klagte er.
    Wir zerrten die Truhe aus dem Schlitten und gingen damit ungeschickt ins Haus. Das Treppenhaus war dunkel, unangenehme Küchengerüche hingen in der Luft; gedämpfte Gespräche, Kinderlachen, schepperndes Geschirr waren zu hören. Als wir endlich vor der Wohnungstür der Nordéns standen, war ich ziemlich außer Atem, und wir setzten die Truhe ab. »Nichts gegen ehrliche Arbeit«, meinte der Kutscher und stocherte mit dem Daumennagel in seinen Zähnen. »Das würde den arroganten Großkopfigen auch mal guttun, nicht wahr, mein Herr?« Ich nickte, weil ich zu wenig Puste hatte, um etwas zu sagen. »Wer hart arbeitet, muss auch etwas zu sagen haben und belohnt werden, oder?«
    Ich sagte nichts, denn ich war mir nicht sicher, ob er in eine politische Diskussion einsteigen wollte oder von seinem Trinkgeld redete. Ich gab dem Kutscher ein paar Münzen, und er tippelte die Treppen hinunter. Ich stand im Licht, das aus einem Hoffenster fiel, und horchte vor der Tür der Nordéns auf leise Geräusche – Flüstern, das leise Tappen nackter Füße auf Holzdielen. Da Margot möglicherweise öffnen würde, zog ich meine Jackenärmel und den Hosenbund gerade und strich mir durchs Haar. Da flog die Tür mit einem plötzlichen Schwung auf, der mich fast umgehauen hätte. Mir gegenüber stand Margot mit einem Schnitzmesser in der Hand. »Margot!«, japste ich. »Ich bin’s, Ihr Freund Emil.«
    Sie spähte ins Dunkel, ihre Hand umklammerte noch immer das Messer. »Lieber Gott, Emil! Ich entschuldige mich aufrichtig. Wegen all des Geredes bin ich
en garde

    Ich reagierte mit einer stümperhaften, aber blumigen Entschuldigung meinerseits, erwähnte mehrmals Madame Sparv und die Truhe, die ich auf deren Geheiß unbedingt gleich bringen sollte, ohne Vorankündigung, das sei ja typisch für die Barbaren in meinem Land und so weiter und so fort. Schließlich legte sie das Messer auf eine Kommode im Gang, zündete eine Öllampe an und bat mich herein. Im Licht sah ich, dass ihr Gesicht voller geworden war, und bemerkte die Rundung ihres Bauchs, der sich unter ihrem Mieder wölbte. Im Gang roch es leicht nach gebratenem Fisch und Lavendel. Die Wände waren weiß vergipst, auf dem breiten Dielenboden lag ein eingefasster Läufer. An einer Wand hing, wie in jedem guten lutherischen Heim, ein Messingkreuz mit dem gepeinigten Leib Jesu.
    »Christian macht gerade einen Fächer fertig, und Sie wissen ja, wie perfektionistisch er ist. Möglicherweise wird er nicht ganz so erfreut sein über Ihren Besuch, das verstehen Sie doch, ja?«, fragte sie.
    Ich nickte. »Vielleicht könnte ich kurz mit ihm durch die Tür sprechen …«
    »Ich meinte damit nicht, dass er beißt«, sagte sie lachend. »Kommen Sie!«
    Wir schleiften die Truhe gemeinsam durch die Tür und den Gang zu einem Zimmer ganz am Ende des Flurs. Die Tür war nur

Weitere Kostenlose Bücher