Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Stockholm Oktavo

Das Stockholm Oktavo

Titel: Das Stockholm Oktavo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Engelmann
Vom Netzwerk:
Skolgränd verschwinden. »Es ist tiefe Nacht, dennoch haben Sie einen Schatten.«
    »Ich habe nicht genug Substanz für so einen Schatten, Hinken, nicht mal am helllichten Tag.«
    Er lachte und winkte mich herein. Die Eingangshalle mutete an wie ein osmanischer Palast; Miniaturen, die verschiedenste Sinnesfreuden zeigten, hingen an glatten, weißen Wänden. Der Boden war aus blau-goldenen Reliefkacheln, der Lüster und die Wandleuchten waren aus gehämmertem arabischen Messing. Es gab eine Wasserpfeife und ein verziertes Sitzkissen, auf dem Tantchen das jüngste ihrer Mädchen während der geschäftigsten Stunde der Nacht in Schleier gehüllt platzierte. Die Luft war schwer von betörendem Jasminduft.
    »Seit dem
Sauschwanz
habe ich Sie nicht mehr gesehen! Ich war überzeugt, Sie würden wegen der Bezahlung früher kommen«, sagte Hinken.
    Ich schielte zu dem leeren Sitzkissen. »Ich bin eigentlich hier wegen …«
    »Offener Rechnungen und einem Drink unter Freunden!« Mit festem Griff nahm er mich am Arm, doch anstatt mich durch den Vorhang ins Paradies zu führen, stieß er eine Tür in der Holzvertäfelung an der hinteren Wand der Eingangshalle auf. »Kommen Sie in mein Büro.« Direkt hinter der Tür standen ein Stuhl, ein Wasserkrug, ein Besen, ein polierter Holzknüppel und eine Eisenstange. Hinken brachte mich durch einen unbeleuchteten Flur zu einer steilen, krummen Stiege. Drei Stockwerke weiter oben landeten wir in einem Korridor, der nur von einer Öllampe an der Wand erhellt wurde. Hinken nahm einen Schlüsselbund vom Gürtel, schloss das hinterste Zimmer auf und zündete eine Kerze an. »Das ist die Königssuite, auch wenn nur wenige Könige hierherkommen. Egal. Ich muss darauf gefasst sein, von einem Moment zum anderen zu verschwinden«, sagte Hinken und deutete auf seine Seemannstruhe und den gepackten Seesack in der Ecke. Das Zimmer war geräumig, das Dach fiel jedoch in einem ungünstigen spitzen Winkel ab. Die Kargheit des Raums erinnerte mich an meine eigene Behausung. Hinken bot mir auf einem breiten abgewetzten Lehnsessel Platz an.
    »Ihre Unterkunft ist größer als die Zimmer der Nutten«, sagte ich.
    Er goss zwei saubere Gläser Aquavit ein. »Tantchen ist der Ansicht, dass die Grotten der Venus so intim wie möglich sein müssen, und hat die Zimmer in zwei, drei Gemächer unterteilt … Na ja, rechnen Sie es sich selbst aus. Bei den Kojen auf der
Henry
bin ich ihrem Beispiel für die Frühjahrspassagen gefolgt, die Nachfrage ist so groß, dass die Crew in Schichten schläft, und es ist keinem zum Schaden.«
    »Wohin, Kapitän? Ins Schlaraffenland?«
    »In gewisser Weise ja. Im Frühjahr nehme ich Kurs auf Westen, in die neue Republik Amerika. Dort stehen einem alle Möglichkeiten offen. Und nun zu unserem Geschäft: An Bord der
Henry
gibt es natürlich eine Koje für Sie, wenn Sie wollen. Ich möchte die Stadt mit einer weißen Weste verlassen, denn es gibt kein Zurück mehr. Für mich ist es die volle Begleichung Ihrer Gefälligkeit.«
    »Ich werde Stockholm niemals verlassen, Kapitän, aber ich möchte mit der Koje ein Tauschgeschäft machen. Wie viel kann ich für die Passage nach Westen bekommen?«
    »Von Ihresgleichen? Fünfhundert Reichstaler. Für einen kräftigen Matrosen oder eine hübsche Frau würde ich die Fünfhundert selbst zahlen. Und lassen Sie mich einen Rat gratis geben – deshalb sind wir hier in der Königssuite und nicht unten.« Er beugte sich vor. »Gehen Sie nicht zu den Huren«, sagte er leise. »Eine schreckliche Ansteckungskrankheit hat schon zwei von ihnen ins Grab gebracht, und mehr werden folgen. Tantchen will nicht, dass die Kunden es erfahren, aber wir, Herr Larsson, wir sind Freunde, oder?«
    »Sie kennen meinen Namen?«
    »Ein kleines Vögelchen hat ihn mir zugeflüstert. Auf Ihre Empfehlung kam Madame Sparv zu mir.«
    Ich konnte mich nicht erinnern, Hinken irgendjemandem wegen irgendetwas empfohlen zu haben, nicht einmal Madame Sparv. »Sie schart gern ein ganzes Heer Geister um sich«, sagte ich, »am besten, Sie sind ehrlich, ansonsten wird sie die bösen auf Sie hetzen. Sie ist Hellseherin, wissen Sie?«
    »Ja, das weiß ich, aber sie kam nicht, um mir die Karten zu legen oder geschmuggelten Schnaps zu kaufen. Sie fragte nach einer Passage nach Norden, nach Gävle. Ich sagte ihr, dass sie um diese Jahreszeit den Landweg nehmen müsse. Ihr Vögelchen hat mir jedoch ein sehr großzügiges Angebot gemacht. Kann es sein, dass sie nicht alle Tassen im

Weitere Kostenlose Bücher