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Das Stockholm Oktavo

Das Stockholm Oktavo

Titel: Das Stockholm Oktavo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Engelmann
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aristokratischen Training anmutig geworden waren. Sie sandten schnelle und eindeutige Botschaften aus. Ihre Kleider waren aus Samt und dunklen Brokatstoffen, sie lagen enger an, waren kürzer und wollten berührt werden. Die Parfüms waren moschusschwer und geheimnisvoll, Lippen und Wangen gerötet vor Aufregung und Rouge. Die Herren, die durch den Raum stolzierten, hatten die Kraft eingesperrter Raubtiere. Dieses Mal fehlten die Schauspieler vom Bollhuset, weil man sie für »zu französisch« hielt, und ihre freien Plätze wurden von den dunkelhaarigen Freunden des russischen Konsuls eingenommen. Die geladenen schwedischen Offiziere hatten schon mit dem Schnaps begonnen. Meister Fredrik beeilte sich, bei den Herren Platz nehmen, und setzte sich genau dann, als das laute Zischen des Fächers der Uzanne die Menge verstummen ließ und alle auf ihre Plätze trieb.
    Der niedrige Winterhimmel, den man durch die Fenster sah, war nur ein paar Nuancen dunkler als die perlgrauen Wände im Salon. Die Kerzen des Lüsters brannten nicht. Diener eilten durch den Raum, sie drehten die Dochte der Öllampen an der Wand herunter und zogen die Vorhänge zu, im Salon wurde es Nacht. Alle Augen waren auf die Uzanne gerichtet. Sie war eine waldgrüne schlanke Säule. Das cremeweiße Halstuch über ihrem Mieder reflektierte den Schein der einzelnen Kerze, die sie in der Hand hielt. In diesem trüben Licht und in der heimlichen Kälte des Raums hätte sie ein Engel sein können, der den Sterbenden am Bett erschien.
    »Bei unserer ersten öffentlichen Lektion haben wir von einem echten Künstler gelernt, dass hinter dem Fächer die Geometrie steht«, sie beugte den Kopf in Richtung des errötenden Christian Nordén. »Von einem Überraschungsgast mit angeborenem Talent haben wir die Sprache der romantischen Liebe gelernt, seitdem ist sie eine unserer Lieblingslehrerinnen.« Die Uzanne legte den Fächer auf ihr Herz und sah Anna Maria an, die auftrittsbereit in der Nähe stand. »Und ich habe die Lektion mit einer Demonstration des Waffengangs beendet – mit der verführerischen Macht des Fächers. Seitdem waren Sie emsige Schülerinnen, und ich sehe, dass Ihre Ausbildung große Fortschritte macht. Aber wir können beim Waffengang nicht stehenbleiben, wir müssen zur Dominanz kommen.«
    Keuchen und Kichern war zu hören, ein Offizier, der hinten im Raum lümmelte, rief: »Ist das nicht der normale Gang der Dinge, Madame? Von der Verlobung zur Ehe?« Jetzt ertönte offen Gejohle und Gelächter.
    Die Uzanne schenkte dem Offizier ein nachsichtiges Lächeln, antwortete ihm jedoch nicht. »Ihr Ziel ist es, weit mehr zu tun, als den Herrn nur zu fesseln. Ihr Ziel ist es, einen Gefangenen zu machen und mit ihm zu machen, was Sie wollen. Heute will ich eine Form der Dominanz vorführen, mit der man einen König gefangen nehmen kann.«
    Es wurde still im Salon. Die Uzanne nickte kaum merklich. Johanna, die so reglos dagestanden hatte, als wäre sie ein Teil der Kulissen, rührte sich nervös. Sie stand von ihrem Stuhl auf und ging rasch zu einer Kommode unter einem großen Spiegel, der ihr Antlitz zurückwarf. Ihr bleiches Gesicht über dem meergrünen Kleid war von einer gerunzelten Stirn und zusammengezogenen Augenbrauen verunstaltet. Sie verdrängte ihre Anspannung. Die Schublade quietschte in der Stille, als Johanna sie aufzog. Sie war leer bis auf einen Gegenstand: ein kurzer Fächer mit einem Doppelblatt aus »Hühnerhaut« von den Zwillingskälbern, deren Geburt sie im vergangenen Sommer im Stall hatte miterleben müssen. Das Leder war taubengrau gefärbt und mit Silberbändern eingefasst. Die Stäbe waren aus lackiertem Holz, schwarz und schmucklos, der Stiel war nur zwei Finger breit. Die Mittelfalte an der Rückseite endete in einer Tasche mit allerfeinsten Netzen an beiden Seiten, das untere Ende wurde mit einer Klappe verschlossen und mit einer geschwungenen Elfenbeinperle geschlossen. In der Tasche steckte die geschlissene und beschnittene Schwanzfeder eines Schwans, die Meister Fredrik besorgt hatte. Aus dieser Feder ist nämlich der Federkiel eines Meisterkalligraphen, sein hohler Schaft war das ideale Behältnis für Tinte. Nun würde sie mit parfümiertem Puder eine Botschaft aussenden.
    Christian hatte in Paris viele Fächer mit »Raffinessen« gefertigt und hatte garantiert, dass die Bewegungen des Fächers tadellos wären, der Inhalt verbliebe im Schwanenfederkiel, bis die Drehung des Blattes und der Druck vom Luftzug genau

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