Das Stockholm Oktavo
den Turm gesellschaftlicher Überlegenheit zu erklimmen – leider von außen, denn Zugang zu den Treppen hatte ich nicht. Mit meinem Können war ich in der Lage, einen Keil in die Mauer zu treiben, ebenso mit Dienstbeflissenheit, Schmeichelei, aufgesetzter Belesenheit, Zungenfertigkeit, großen Ohren. Ich benutzte die Werkzeuge, die ich leicht schleifen konnte, und kam auch ziemlich weit hinauf. Seit dieser Taufe bin ich Bellmann immer gefolgt. Die Stadt rauf und runter, durch üble Pinten und Schenken mit vollgepisstem Stroh und pockennarbigen Mädchen, die vor ranzigem Sperma strotzten, mit Gästen, die besoffen und unverschämt waren. Vielleicht fehlte mir etwas. Immer wenn ich Bellman aufspielen hörte, sah ich mich wieder auf diesem nächtlichen Sommermeer und fühlte eine tiefe Verbundenheit. In den drei Tagen an Ihrem Bett wurde mir klar, dass Bellman mit seiner Botschaft genau das gemeint hat.«
»Liebe und Verbundenheit«, sagte ich.
»Ich bin mir nicht sicher, welche Hand ich noch ergreifen könnte. Zum Glück gibt es meine Frau und meine Jungen. Und ich hoffe auf Ihre Hand, Emil.«
Ich sah die blaue Fächerschachtel, die auffallend auf dem Nachttisch stand. Meister Fredrik folgte meinem Blick und wurde rot. »Das ist nicht der Fächer, den die Uzanne sucht. Wundern Sie sich, dass ich danach gesucht habe, ohne zu fragen?« Ich schüttelte den Kopf, denn ich wusste ganz genau, dass ich das Gleiche getan hätte. »Ein Fächer nützt einem Toten nichts, es sei denn, er kommt in die Hölle. Letzte Nacht dachten Frau Murbeck und ich wirklich, dass es mit Ihnen zu Ende geht.«
»Ich hab’s mir anders überlegt«, sagte ich. Ich schloss die Augen und dachte nach. »Aber ich muss wissen, was genau die Uzanne vorhat.«
Meister Fredrik beugte sich vor und sagte leise: »Sie plant ein finsteres Ereignis, so viel ist sicher. Ich war in ihrer letzten Unterrichtsstunde bei der Probe zu diesem Hochverrat zugegen, sie nennt es Dominanz. Lars Nordén hat das Opfer gespielt – die Rolle, die Ihnen zugedacht war. Und Fräulein Blom hat ihr pharmazeutisches Können aufgeboten und heimtückischen Schnupftabak hergestellt, den die Damen einsetzen.«
»Mir? Und was hat Fräulein Blom damit zu tun?« Meine Kopfhaut kribbelte.
»Gleich mehr zu dem falschen Fräulein Blom«, sagte Meister Fredrik warnend, seine Miene war düster. »Ein wirkungsvolles Inhalativum wurde in die Tasche eines Faltfächers gegeben und dem Opfer ins Gesicht geblasen, daraufhin schlief Nordén wie ein Toter. Die Uzanne hat das Pulver bei ihren Bediensteten getestet, und die alte Köchin behauptet, ihr geliebter Kater Sylten sei dabei umgekommen. Aber die Uzanne hat höhere Ziele als Feliden.« Er dämpfte die Stimme: »Ich fürchte, sie will den König außer Gefecht setzen, ihn umstimmen oder ihn drogenabhängig machen. Herzog Karl steht unter ihrem Einfluss. Sie will die Zügel in die Hand nehmen und freut sich an der Peitsche.«
»Und niemand hat die Polizei gerufen?«
Er verdrehte die Augen. »Wer würde das wagen? Und glauben würde es auch keiner, der König zuallerletzt. Gustav würde die Uzanne mit offenen Armen willkommen heißen, so begierig ist er auf eine Versöhnung mit dem Adel. Diese Umarmung wäre Gustavs Ende und das Ende des bisschen Stabilität, das wir nun in Schweden haben.«
»Aber was können wir beide unternehmen?«
»Am liebsten würde ich so tun, als wüsste ich von nichts, und sagen, dass es in Gottes Hand liegt. Aber wir müssen uns dazu entschließen, diese Hand zu sein, Emil. Der Erfolg des Teufels baut auf unsere Gleichgültigkeit.« Meister Fredrik stand auf, seine Kleider waren fleckig und zerknittert. »Wir müssen herausfinden, was genau die Uzanne plant und für wann. Vielleicht könnten wir unser Bündnis fortführen, hätten aber nun ein … hehreres Ziel«, sagte er lächelnd über seine Wortwahl.
»Stimmt, gemeinsam hat man bessere Chancen«, sagte ich.
»Es wäre klug, Zeit und Gunst zu schinden, aber die Uzanne akzeptiert nur eine einzige Währung.«
Auch ich verspürte das Bedürfnis nach mehr Zeit. Ich brauchte Zeit, um Kontakt mit Madame Sparv aufzunehmen und sie zu fragen, wann und wohin der Fächer abgeschickt werden sollte. Meister Fredrik schien es ernst zu meinen, aber wie lange das andauern würde, dafür gab es keine Garantie. Vielleicht wäre er irgendwann eher geneigt, der Lehre »Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott« zu folgen.
»Vielleicht eine Art Schuldschein«, sagte ich zu ihm.
Weitere Kostenlose Bücher