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Das Stockholm Oktavo

Das Stockholm Oktavo

Titel: Das Stockholm Oktavo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Engelmann
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ihn hineingewachsen«, sagte sie. »Wie ich in Sofia.«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Nach dem Tod meiner Mutter schickte man mich zu entfernten Verwandten, weil niemand sonst mich aufnehmen wollte. Eine ausgedehnte neunköpfige Familie, die in Småland den Boden beharkte und das Ganze Landwirtschaft nannte. Zehn Jahre lang grub ich Steine aus der Erde, starrte in dunkle Kiefernwälder und aß Rindenbrot und Pökelfleisch von jedem toten Tier, das mein Onkel anschleppte. In einem rauen Wintermonat aßen wir nur Dachs und Wassersuppe.« Madame Sparv verzog das Gesicht. »Doch dort lernte ich von einem Nachbarn den segensreichen Zeitvertreib des Kartenspiels, er war der einzige nette, aufrichtige Mensch, den ich je getroffen habe. Er schenkte mir zum Dreikönigsfest ein Deck – eine Großzügigkeit, die dem Mitleid geschuldet war. Wer weiß? Als mein frommer Onkel die Karten fand, verbrannte er sie und schlug mich blutig. Beim Sonntagsgebet verkündete er, dass ich mich mit Teufelszeug eingelassen hätte und aus der menschlichen Gemeinschaft ausgeschlossen werden müsse. Er verbannte mich in die Scheune.«
    »Ich kenne den Kummer eines Außenseiters gut«, sagte Madame Sparv.
    »Ich lief weg, zurück in die Stadt, und schlug mich so durch. Als Lampenanzünder, Vogelfänger und schließlich als Gehilfe in den Docks. Wissen Sie, was ich mir für meinen ersten zusätzlichen Skilling gekauft habe?«
    »Eine richtige Mahlzeit, hoffe ich.«
    »Ich kaufte zweiundfünfzig Karten Teufelszeug, Madame Sparv, und die haben mich weit gebracht. Ich habe in der Werft angefangen, wo die Dockarbeiter in ihren Freistunden Rommee mit niedrigen Einsätzen spielten. Damit kam ich aus, bis ich Rasmus Bleking traf, einen Sekretär beim Zollamt. Er brauchte einen Jungen, der die Stadt kannte wie seine Westentasche und der den Mund halten konnte. Der Junge musste alles tun, was Bleking verlangte – was sich am Ende als dessen eigene Arbeit herausstellte. Er bot mir ein mageres Taschengeld, eine Mahlzeit am Tag und die Bodenkammer in seiner Hütte auf Södermalm am Fatburs-See, einem stinkenden Tümpel voller Scheiße, Unrat und Kadavern.« Madame Sparv sog die Luft ein. »Aber ich hatte meine Karten, und meine Reise hatte gerade erst begonnen. Im Spiel war Bleking ein Dummkopf, und ich bot an, ihm beizubringen, was ich wusste. Ich ließ ihn nicht einmal gewinnen, damit er die Lust nicht verlor, ich knöpfte ihm schlicht und ergreifend sein Geld ab. Wir spielten Tag und Nacht, bis er es mit mir aufnehmen konnte. Im Gegenzug brachte er mir lesen und schreiben bei – was für ihn ein gutes Geschäft war, denn so konnte ich auf dem Amt seinen Papierkram erledigen. Doch für mich war es ein noch besseres Geschäft: Als er starb, behielt ich die Stelle und sein Zimmer und klammerte mich daran, bis die Karten mich in die Gråmunkegränd und zu Ihnen führten. Letztes Jahr kaufte ich Blekings Sekretärtitel und zog wieder zurück zu meiner Familie: in die Stadt.«
    »Und nun?«, fragte sie.
    »Nun habe ich mein Ziel erreicht, Madame Sparv. Ich werde im Amt und in der Stadt bleiben, bis ich meinen Posten verkaufe oder sterbe. Vorausgesetzt, mein Oktavo bildet sich schnell genug heraus, dass ich meinem Vorgesetzen zu Willen sein kann. Er ist bereit, noch bis zu seinem Namenstag im August zu warten, aber nur weil er die De Geers hasst.«

Kapitel 10

Der Schlangenkoch
    Quellen: E. L., Madame S.
    Die Arbeit auf dem Amt hätte an diesem Tag nicht schlimmer sein können. Das endlose Ordnen offizieller Unterlagen und das Brummen meines Vorgesetzten bescherten mir rasende Kopfschmerzen. Selbst die
Schwarze Katze
enttäuschte mich, nachdem sie den Kaffee dort mit gerösteter Zichorie aufbrühten, um ein paar Öre zu sparen. Und das Schlimmste überhaupt: Ich hörte nichts von Carlotta. Der Leutnant hatte wohl den Sieg davongetragen – doch dann erinnerte ich mich an den Vorteil meiner acht Karten. An diesem Abend legte sich leichter Nebel auf die Straßen, aber der Vollmond schien am Himmel und verwandelte ihn in eine schimmernde Wolke, die die Stadt einhüllte. Magie lag in der Luft, und meine Hoffnung flammte wieder auf.
    »Der Leutnant hat seinen Rivalen unterschätzt«, sagte ich, als ich mich an meinen gewohnten Platz im oberen Zimmer setzte. »Ich werde Carlotta für mich gewinnen, Madame Sparv.«
    »Ist das Ihr Verständnis von Liebe und Verbundenheit?« Sie sah mich missbilligend an, während sie die Karten mischte. »Es ist ein hohes und

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