Das Stockholm Oktavo
Pausenerfrischung und körperliche Erleichterung zu interessieren schien. Stattdessen heiratete sie einen Soldaten und lernte die Tragödie des Krieges kennen.
Als Anna Maria siebzehn war, kam Mutter Plomgrens Neffe mit einem ansehnlichen Regimentskameraden an der Seite zu Besuch, Magnus Wallander. Anna Maria erkannte in ihm den Mann, der ihrer Hitze standhalten konnte, sie wurden unzertrennlich, und es war nicht zu unterscheiden, wessen Feuer heller loderte. Eine schnelle Heirat fand statt, und sie nahmen sich eine Wohnung gleich um die Ecke in der Ferkens Gränd. Die Nachbarn lachten über ihre wollüstigen Spiele, doch im Laufe der Zeit wurden diese Spiele weniger lustvoll.
»Sie reden nicht in einer christlichen Sprache«, sagte die Rote Brita, eine Nachbarin, zu Mutter Plomgren. »Es ist nur ein Gekreische und Geheule, als wäre der Leibhaftige im Haus. Ich habe wahrhaftig Angst um Ihre Tochter, Mutter Plomgren, sie hat das Temperament einer Beduinin mit Hitzschlag. Da wird bestimmt mal ein böses Ende nehmen. Wie bei meiner Nichte in Norrköping, die nun unter der Erde liegt, und ihre drei kleinen Mädchen sind im Armenhaus.«
Als Magnus Wallander anno 1789 in den Krieg des Königs nach Finnland eingezogen wurde, siedelte das Paar mit der neugeborenen Tochter in die elterliche Wohnung in der Österlånggatan um. Anna Maria war froh, dass Magnus bald gehen müsste, froh um die Geborgenheit und Nähe im Haus der Eltern. Sie würden Geld sparen, und sie hätte Hilfe und Schutz. Ihr Gatte war von dieser Lösung wenig begeistert, beengte sie ihn doch in seiner ungezügelten Lebensweise, außerdem würde sein Temperament hier möglicherweise erheblichen Schaden anrichten. Von Anna Maria, die den zwei Monate alten Säugling stillte, konnte man kaum erwarten, dass sie ihren Mann unter Kontrolle hatte. Sie versuchte es, sie versuchte alles nur Menschenmögliche, aber als er anfing, das Baby als Unterpfand bei ihren Spielchen zu benutzen, hielt nur der Einberufungsbefehl des Königs sie von einem Mord ab. »Lassen wir die Russen die Arbeit machen – oder den verfehlten Schuss eines zornigen Kameraden«, sagte sie zu ihrer Mutter. »Soll er ertrinken, an einem Rattenbiss oder an der Cholera sterben! Egal, wie es passiert. Ich bete, dass es schnell und weit entfernt geschieht, sodass ich ihn nie wiedersehen muss.«
Ein Jahr später saß sie in der unnatürlichen Stille ihres Elternhauses. Fenster, Spiegel und Möbel waren mit dickem schwarzem Tuch verhangen, und die Wohnung wirkte fast für eine Madenfamilie zu klein – stickig und dunkel, nur der Schein der weißen Kerzen erhellte den Flur zum Wohnzimmer. Die Geräusche, die früher das Haus erfüllt hatten, das Schreien und Krakeelen des Babys, waren verstummt. Anna Marias Vater erinnerte sich an die Bräuche seiner Jugend auf dem Land und bestand darauf, dass zum Schmuck Tannen an den Türpfosten aufgestellt wurden. Da standen sie nun mit abgehackten Wipfeln; das Tannenreis war auf den Gehweg und in den Hauseingang gestreut worden und bildete einen duftenden Teppich, der das Böse abwenden sollte und das Klacken und Schlurfen der Schuhe dämpfte.
»Jetzt weiß die Nachbarschaft genau, was los ist, und kann keine Gerüchte in die Welt setzen. So erfahren alle, dass es endlich passiert ist«, sagte er zu seiner Tochter. Aber sie wussten es schon. Anna Maria fürchtete das Verstummen der Gespräche auf dem Markt, die Verlegenheitsröte beim Bäcker, die niedergeschlagenen Blicke beim Metzger, hinter dessen Ahorntresen ein frisch geschlachtetes Kalb hing. Doch Nachbarn, Freunde und auch Fremde würden alle in das Haus mit den Tannen kommen, sie würden die drei Treppenfluchten in die abgedunkelten Räume hinaufsteigen, in denen es nach Leichnam, Nadelbäumen und Kringlor roch, den großen Safranbrezeln, die immer beim Leichenschmaus gereicht wurden. Die Leute schlugen selten eine Einladung aus, die den Anstrich des Makaberen hatte und wo es Essen und Trinken umsonst gab, wenn auch Hitze und Gestank ihren Aufenthalt verkürzten.
Anna Maria sah zu, wie ihre Mutter Tassen und Teller eindeckte, die sie von Freunden ausgeliehen hatte, nachdem Anna Maria fast das ganze Geschirr der Familie im Streit mit ihrem Mann zerschlagen hatte. Ein Teller fiel zu Boden und zerbrach, Mutter Plomgren fluchte leise. Anna Maria saß reglos auf der weißen Küchenbank, die auch ihr Bett war, ihre Wangen glühten, und ihre Lippen waren für den Anlass zu rot. Es war nicht recht, nach
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