Das Stonehenge - Ritual
beauftragen. Alles muss immer nach seinem Kopf gehen.
Aber damit ist nun Schluss. Heute wird sie einschreiten, und zwar auf eine Weise, wie es nur eine Mutter kann: geleitet von ihrem Herzen. Aus diesem Grund hat sie eine Pressekonferenz einberufen.
Kylie wirft einen letzten Blick in den Spiegel, ehe sie ihre Augen hinter einer schlichten Prada-Sonnenbrille versteckt. Sie trägt ein mittellanges graues Kleid von Givenchy und hat ihr blondes Haar streng zurückgebunden. Sie ist bereit für alles, womit die Welt sie bewerfen kann.
Nachdem sie noch einmal tief Luft geholt hat, betritt sie den im obersten Stock des Dorchester gelegenen Konferenzraum und lässt sich an dem langen Tisch nieder, der mit makellos weißem Baumwollstoff bedeckt ist. Vor ihr befindet sich ein kleines Schild mit ihrem Namen und eine Ansammlung von Mikrophonen und Diktiergeräten. Als sie hochblickt, scheint der ganze Raum sich aufzubäumen. Unzählige Kameras klicken, und ein regelrechtes Blitzlichtgewitter bricht über sie herein. Sie sieht die Chefredakteure von BBC , ITN , Sky, AFP , Reuters, PA , CNN , Inter Pres, Pressenza, dpa, EFE und UPI . Und eine Million weitere. Als Zeichen ihres Mitgefühls haben sich alle von ihren Plätzen erhoben. Kylie weiß, dass diese Geste nicht der berühmten Schauspielerin gilt, sondern einer vor Kummer kranken Mutter.
Sie spürt die Hitze der an Stahlstangen aufgereihten, mörderisch heißen Fernsehscheinwerfer. Im Saal wimmelt es nur so von Menschen. Am hinteren Ende des Raumes befindet sich eine Art Tribüne mit einer langen Reihe von Videokameras. Links und rechts von Kylie sitzen ein hünenhafter Leibwächter im Anzug und eine rundgesichtige, farbige Frau Anfang fünfzig. Bei der Frau handelt es sich um Charlene Elba, eine raubeinige Veteranin ihrer Hollywood-Pressekampagnen. Elba bringt den Ball ins Rollen, indem sie gegen das größte der Mikrophone vor ihr auf dem Tisch klopft. »Sehr geehrte Damen und Herren, vielen Dank für Ihr zahlreiches Erscheinen. Ihnen allen ist bekannt, dass die Polizei mehrerer Länder gerade alles in ihrer Macht Stehende tut, um Caitlyn Lock zu finden. Sowohl Kylie Lock als auch US -Sicherheitsberater Thom Lock sind unendlich dankbar für die Bemühungen der Detectives und sämtlicher anderen Beamten. An diesem Morgen aber wollen wir uns nicht mit Themen beschäftigen, die die Ermittlungen betreffen.« Sie legt eine kurze Pause ein. »Stattdessen möchte Kylie sich heute direkt an diejenigen wenden, die ihre Tochter entführt haben. Hinterher steht sie für Interviews zur Verfügung. Die Konferenz wird neunzig Minuten dauern. Danach muss Kylie zu einer persönlichen Besprechung mit dem Polizeichef von Wiltshire sowie Vertretern des britischen Innenministeriums und des FBI . Bereits an dieser Stelle möchten wir Ihnen für Ihre Teilnahme danken.«
Kylie braucht noch einen Moment, bevor sie bereit ist für ihren Versuch, ihr Publikum zu beeindrucken. Sie spürt den Zynismus der Leute. Vermutlich eine Begleiterscheinung des Berufs. Sie nimmt ihre Sonnenbrille ab. Ihre Augen sind gerötet, und bis auf einen Hauch Puder ist sie völlig ungeschminkt. Ihre Gesichtszüge sind allen Anwesenden vertraut. »Wer auch immer Sie sein mögen«, beginnt sie, »und was auch immer Sie bezwecken, bitte tun Sie meiner Kleinen nichts.« Ihre Stimme zittert. »Denken Sie an Ihre eigene Mutter. Oder an Ihre Frau oder Ihre Schwester. Was würden Sie empfinden, wenn eine von ihnen an Caitlyns Stelle wäre? Was würden Sie ihren Entführern sagen? Bestimmt würden Sie Folgendes sagen: Bitte, bitte verschonen Sie dieses Mädchen, das ich mehr liebe als jeden anderen Menschen auf der Welt. Bitte lassen Sie sie gehen.« Vor ihr liegen keine Notizen, sondern nur ein leeres Blatt Papier und ein Stift. Sie starrt auf das Blatt hinunter. So lange, dass die Leute allmählich unruhig werden.
Schließlich richtet sie den Blick wieder auf die Kameras und die gespannte Pressemeute. In ihren Augen schimmern Tränen. »Meine Caitlyn hat ein Herz aus Gold. Sie ist die liebevollste, wundervollste Tochter, die eine Mutter nur haben kann. Ihr ganzes Leben liegt noch vor ihr. Ein halbes Jahrhundert. Sie hat das Recht, ihren Traummann kennenzulernen und sich zu verlieben, ihre eigene Familie zu gründen, ihre eigenen Enkel auf dem Schoß zu wiegen und am Ende mit dem guten Gefühl zurückzublicken, dass sie die Welt durch ihre Anwesenheit und ihr Erbe zu einem besseren Ort gemacht hat. Nehmen Sie ihr das nicht
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