Das Stonehenge - Ritual
sie her. Dass Ihr Vater gestorben ist, tut mir sehr leid.« Er neigt respektvoll den Kopf. »Ich lasse Sie nun allein, damit Sie die Wünsche Ihres Vaters erfüllen können. Gute Nacht.« Mit diesen Worten dreht er sich um und geht.
Für einen Moment steht Gideon reglos da und blickt sich um. Mittlerweile wird es richtig dunkel, und Nebel fällt ein wie eine langsame Flut. Gideon läuft ein Schauder über den Rücken. Er spürt, dass er nun nicht mehr lange zaudern darf, weil er es sonst nicht schaffen wird, den seltsamen letzten Wunsch seines Vaters zu erfüllen.
Der Deckel der Box sitzt sehr fest. Behutsam löst er ihn. Gideon weiß nicht recht, wo er anfangen und wo er aufhören soll. Soll er die Box einfach ausschütteln und wieder gehen? Den grauen Staub an nur einer Stelle zu Boden rieseln lassen? Oder soll er versuchen, die sterblichen Überreste seines Vaters so gleichmäßig wie möglich zu verteilen?
Er erinnert sich daran, in den Tagebüchern gelesen zu haben, dass rund um Stonehenge überall menschliche Überreste gefunden worden waren. Hunderte anderer Menschen lagen in den nahe gelegenen Feldern begraben. Im Altertum hatten sich dort die Lager befunden, in denen die Steinarbeiter lebten.
Gideon wirft einen Blick in den Behälter und beschließt spontan, an der Seite zu beginnen, die dem Fersenstein gegenüberliegt. Er umrundet den kleinen Kreis aus Sarsen und Blausteinen im Uhrzeigersinn und verstreut dabei die Asche. Obwohl der Behälter schon leer ist, bevor er den letzten Stein erreicht, führt er das Ritual zu Ende und schüttelt die Box, bis der Kreis geschlossen ist.
Danach zieht es ihn auf seltsame Weise ins Zentrum des Kreises. Einem inneren Zwang folgend, kniet er nieder und spricht die Worte aus, die er nicht sagen konnte, als er im Krematorium den Sarg mit der Leiche sah. In der Dunkelheit flüstert er: »Es tut mir leid, Dad. Es tut mir leid, dass wir uns nicht besser kannten. Dass ich dir nicht mehr sagen konnte, dass ich dich liebte. Dass wir keinen Weg fanden, unsere Differenzen zu überwinden und unsere Träume zu teilen. Du fehlst mir. Du wirst mir immer fehlen.«
Schwarze Wolken schieben sich über den bleichen, aufgehenden Mond. Bevor Gideon sich wieder erheben kann, wird ihm eine Kapuze über den Kopf gestülpt.
Vier Späher zerren ihn zu Boden.
100
Megan ist gerade im Begriff, ihren Computer auszuschalten und Feierabend zu machen, als eine E-Mail eingeht. Müde öffnet sie die Nachricht. Die Abteilung für Gesichtserkennung schreibt ihr, im Zusammenhang mit dem etwas unscharfen Täterfoto, das von Gideon Chase mit einer Handy-Kamera aufgenommen worden sei, habe sich eine Übereinstimmung mit Aufnahmen einer Straßenüberwachungskamera ergeben.
Sie liest den Text: »Eine männliche Person, deren Gesichtsbiometrie derjenigen Ihrer gesuchten Person entspricht, wurde von Kamera XR 7 in Tidworth identifiziert. Klicken Sie auf das unten folgende Icon, um sich die Aufnahmen anzusehen und Kontakt mit dem zuständigen Beamten aufzunehmen.«
Nachdem sie das kleine Bild einer Kamera angeklickt hat, macht ihr Herz einen Freudensprung: Es sind hervorragende Aufnahmen. Ein knappes Dutzend. Auf mehreren ist der Verdächtige zu sehen, wie er vor einem Geschäft steht und gerade die Ladentür auf- oder zusperrt. Es handelt sich um eine Metzgerei. Verdammt. Sie hatte auf einen Koch getippt, oder auf den Angestellten einer Cateringfirma. Auf einen Metzger war sie nicht gekommen.
Sie muss an das von ihr erstellte psychologische Profil denken: männlicher Weißer, dreißig bis fünfundvierzig Jahre alt, manuelle Tätigkeit, eventuell für einen Cateringservice, örtliche Pubs, Restaurants. Der Mann passt genau ins Bild.
Vor lauter Enthusiasmus entgeht Megan völlig, dass ihr Ex und ihre Tochter im Anmarsch sind. Erst als Sammy zu rufen beginnt, blickt sie hoch.
»Mummy! Mummy!« Die Vierjährige stürmt zwischen den Schreibtischen hindurch.
Megan fängt sie in ihren ausgebreiteten Armen auf.
»Ich habe ein verlorene Tochter gefunden«, erklärt Adam. »Sie hat mir erzählt, ihre Mutter sei eine berühmte Ermittlerin, deswegen dachte ich mir, ich bringe sie persönlich zurück.«
Sie nimmt Sammy auf den Schoß und drückt ihr einen Kuss auf die Stirn. »Was macht ihr denn hier?«
Adam mustert sie frech. »Ich musste mir doch eine gute Taktik einfallen lassen, damit du mit uns nach Hause kommst.«
Am liebsten würde Megan ihn bitten, einen Gang herunterzuschalten und die Dinge ein wenig
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