Das Stonehenge - Ritual
Decke umwickeltes Bündel. Er beugt sich hinein und zieht die Decke auseinander. Darunter befinden sich vier Tagebücher in DIN -A 4 -Format, jeweils zwei aus jedem Jahrzehnt, das Nathaniel Chase als Mitglied der Zunft verlebte.
»Ist das alles?«
Smithsen schlägt einen Band auf und starrt auf den verschlüsselten Text. »Woher sollen wir überhaupt wissen, dass es sich um das handelt, was du behauptest?«
Gideon nimmt ihm das Buch aus der Hand. »Nur ich kann den Kode meines Vaters entziffern. Und das ist auch gut so. Gut für mich und gut für euch. Die meisten Leute würden diese Bücher einfach wegwerfen, wenn sie sie in die Hände bekämen, aber das wäre falsch. Ganz falsch.« Er klappt das Tagebuch zu, wickelt es zusammen mit den anderen wieder in die Decke ein und reicht Draco das Bündel. »Damit habe ich meinen Teil der Abmachung erfüllt. Nun ist es an euch, den euren zu erfüllen.«
110
Bis man den Rang eines Detective Inspector erreicht, weist man für gewöhnlich schon einige berufliche Schrammen auf. Ist man zudem eine Frau, hat man mit der Zeit auf jeden Fall ein paar Verhaltensregeln für sich aufgestellt: Angefangen damit, dass man nie allzu lange bleibt, wenn ein aufgeklärter Fall gefeiert wird, bis hin zu dem Grundsatz, unter keinen Umständen einen Kollegen zu heiraten, sind die Grenzen klar abgesteckt. Megan hat sich an keine dieser beiden wunderbaren Regeln gehalten. Dennoch gibt es eine Richtlinie, gegen die sie nie verstößt.
Betrachte immer das ganze Bild. Fälle keine überstürzten Entscheidungen. Tritt einen Schritt zurück und wäge alle Einzelheiten ab, egal ob groß oder klein, wichtig oder banal. Ziehe alle Faktoren in Betracht.
Aus diesem Grund klopft sie nun nicht gleich an die Tür ihrer Chefin und bittet sie um einen Haftbefehl sowie ein schwerbewaffnetes Sondereinsatzkommando, um damit Dave Smithsen dingfest zu machen. Stattdessen spricht sie das Ganze erst mal mit Jimmy durch und versucht sich einen Reim darauf zu machen. »Ich war heute Morgen bei Gideon Chase. Er sah aus, als hätte ihm jemand ein paar heftige Kinnhaken verpasst. Angeblich ist er von zwei Männern mit einer Waffe bedroht worden. Einem Bauunternehmer namens Smithsen und dem Mann, der letzte Woche in das Haus seines Vaters eingebrochen ist.«
Jimmy starrt sie überrascht an. »Hatten Sie nicht gesagt, Chase habe das Gesicht des Einbrechers nicht gesehen?«
»Stimmt, das hat er zunächst behauptet, aber wie sich nun herausstellt, hat er in dem Punkt gelogen.«
»Warum?«
»Das ist eine lange Geschichte. Angeblich hielt er es für seine Pflicht, persönlich herauszufinden, worin sein Vater verwickelt war.«
»Wo wurde er bedroht und warum?«
Megan schüttelt den Kopf. »Über die Einzelheiten weiß ich auch noch nichts. Ich hatte keine Gelegenheit, ihn danach zu fragen, weil Smithsen gerade bei ihm im Haus war, angeblich wegen des Brandschadens.«
Jimmy hat Schwierigkeiten, das alles unter einen Hut zu bekommen. »Dieser Bauunternehmer und sein Einbrecherkumpel bedrohen Chase, und ein paar Stunden später schaut Smithsen bei ihm vorbei, um sein Haus instand zu setzen? Das klingt aber sonderbar.«
»Da haben Sie recht. Es
ist
sonderbar. Allmählich frage ich mich, ob der Selbstmord von Nathaniel Chase nicht auf irgendeine Weise mit der Lösegeldforderung für das entführte amerikanische Mädchen zu tun hat.«
Jimmy reißt überrascht die Augen auf. »Warum denn das? Wie um alles in der Welt kommen Sie auf die Idee, zwischen den beiden Fällen eine Verbindung herzustellen?«
»Versetzen Sie sich doch mal für einen Moment zurück in die Scheune, in der Jake Timberlands Leiche gefunden wurde. Ihr Bauchgefühl sagte Ihnen, dass am Tatort etwas nicht stimmte – dass der angebliche Unfall inszeniert war. Können Sie sich erinnern, worauf sich dieses Bauchgefühl gründete?«
»Klar. Es hatte mit der Lage des Ortes zu tun. Mit dem Standort des Campingbusses. Die Lage ist oft von entscheidender Bedeutung.«
»Richtig. Und genau dieser Ortsfaktor lässt mir keine Ruhe. Beide Fälle haben den gleichen Bezugspunkt. Stonehenge. Lock und Timberland hatten vermutlich vor, dort einen romantischen Sonnenaufgang zu genießen, bevor ihnen die Entführung und der Mord einen Strich durch die Rechnung machten. Zugleich ist es der Ort, über den Nathaniel Chase etliche Bücher geschrieben hat und an dem er seine Asche verstreut haben wollte. Und wenn ich es mir recht überlege, ist es auch der Ort, von dem sein
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