Das Stonehenge - Ritual
gefahrene Strecke schließen kann. Ein Ruck nach links sagt ihm, dass Draco nach rechts abgebogen ist und nun in Richtung Norden fährt. Gideon versucht, auch die Zeit, die sie brauchen, in etwa zu schätzen, und kommt zu dem Schluss, dass sie mittlerweile Shaftesbury erreicht haben und jetzt in Richtung Gillingham und Warminster unterwegs sind.
Der letzte Teil der Fahrt ist der ruhigste. Man hört nur noch ganz wenige andere Autos. Da sie nur noch sehr langsam fahren und der Untergrund immer holpriger wird, vermutet Gideon, dass sie sich nicht mehr auf einer geteerten Straße befinden. Nach ein paar Minuten starken Gerumpels kommt das Fahrzeug schließlich zum Stehen, und die Heckklappen werden aufgerissen.
Drei oder vielleicht auch vier Männer zerren ihn heraus und führen ihn über einen harten Boden in einen eisigen, geschlossenen Raum, in dem ihre Schritte ein Echo erzeugen. Vor ihm wird eine Art Tor oder Tür entriegelt. Um ihn herum ist es auf einmal ziemlich laut. Er hört Menschen angestrengt keuchen. Als würden sie Dinge bewegen. Etwas Schweres schieben.
»Schnell!«, ruft jemand.
Plötzlich spürt Gideon eine Hand am Hinterkopf, die ihn vorwärtsschiebt und gleichzeitig zwingt, den Kopf einzuziehen – vermutlich, damit er sich den Schädel nicht anschlägt. Er hört etwas poltern und dann wieder Gekeuche. Etwa eine Minute lang sagt kein Mensch ein Wort. Seine Gedanken wirbeln. Die Stille um ihn herum fühlt sich an wie ein Gifthauch.
Schließlich meldet sich Draco zu Wort. »Es geht jetzt ein paar Stufen hinunter. Gib acht, dass du nicht fällst.« Seine Stimme klingt sarkastisch.
Während Gideon die Stufen hinuntersteigt, hört er vor und hinter sich Schritte und deren Echo. Die Treppe ist sehr stabil. Fester Stein in einem großen Raum, in dem es offenbar nicht viel gibt, das den Schall aufsaugt. Es sind genau zwanzig Stufen.
Die Treppe endet, und zwei Paar Hände packen ihn an den Armen und führen ihn knapp dreißig Sekunden lang in schnellem Tempo dahin.
»Noch einmal Stufen«, verkündet die sarkastische Stimme.
Weitere zwanzig.
Gideon riecht, dass sie sich unter der Erdoberfläche befinden. Er kennt die Gerüche der Erde – Torf, Kreide, Lehm, Sandstein, Flint, feuchtes Eisen, Schimmel. Sie alle dringen mit der Intensität stechender Duftessenzen in seine feine Archäologennase.
Hände bringen ihn zum Stehen.
Die Kapuze wird ihm vom erhitzten Gesicht gezogen. Fackelschein. Er befindet sich tief im Inneren des Heiligtums. In einem Teil, den er noch nicht kennt. Die Gestalten um ihn herum tragen alle Gewänder und Kapuzen. Deswegen hatte es wohl vorhin so lange gedauert, bis sie den Weg nach unten angetreten hatten.
»Zieht ihn aus und bereitet ihn vor.« Dracos Stimme klingt jetzt hart wie Stahl. Gideon versucht nicht über das nachzudenken, was mit ihm geschieht. Stattdessen konzentriert er sich darauf, sich im Geiste ein möglichst genaues Bild von der Anlage zu machen, in der er sich befindet. Es handelt sich um große unterirdische Räumlichkeiten in einer ländlichen Gegend, die sie nach einer etwa einstündigen Fahrt erreicht hatten. Er schätzt, dass sie knapp fünfzig Kilometer von Tollard Royal entfernt sind. Fünfzig Kilometer in nördlicher, vielleicht auch leicht nordwestlicher Richtung.
Draco unterbricht seine Berechnungen, indem er neben Gideon tritt und ihm seinen warmen, säuerlichen Atem ins Gesicht haucht. »Hör mir gut zu. Ich werde dir jetzt beibringen, was du dem Meister auf seine Fragen beim Initiationsritus antworten musst. Mach dir und mir ja keine Schande, indem du etwas Falsches sagst. Und denk daran, dass viele Qualen deinen Geist und Körper heimsuchen werden. Nur wenn du den Geheiligten wahrhaft ergeben bist, wirst du überleben.« Er lächelt. »Wenn nicht, stirbst du.«
112
Der Piepser an Lillian Coopers Hüfte beginnt zu fiepen. Die Hämatologin wirft einen Blick darauf und flucht über die Nachricht ihrer Sekretärin: » DETECTIVE INSPECTOR BAKER IST HIER UND BITTET UM KURZES GESPRÄCH .«
Ein langer Tag ist soeben noch länger geworden. Ihre Badewanne und das Glas Weißwein werden warten müssen. Während sie sich durch das Gewirr von Krankenhausgängen auf den Rückweg zu ihrem Büro macht, überlegt sie. Für gewöhnlich tauchen Polizeibeamte nicht unangemeldet auf. Es sei denn, es gibt Probleme. Was in diesem Fall sehr gut sein kann. Sie hat sich bereits unethisch verhalten, interne Richtlinien verletzt und gegen zahllose Klauseln des
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