Das Stonehenge - Ritual
blickt angewidert auf die großen Finger hinunter, die in nächster Nähe seines dünnen weißen Halses gespreizt sind wie die Kiefer eines Krokodils. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, Ihre Hand da wegzunehmen?«
Er spricht höfliches und perfektes Englisch zum Gesicht eines Mannes hinauf, der so riesig ist, dass er, Jake, ihm nicht mal über die Schulter sehen kann. »Sie müssen ein wenig zurücktreten, Sir. Die Dame dort drüben feiert eine Party, bei der Fremde unerwünscht sind.«
Jake stößt ein nervöses Lachen aus. »Eine Party ohne Fremde? Ich möchte mich der jungen Dame nur kurz vorstellen. Ich bin …«
Das Krokodil schnappt zu. Die Finger-Kiefer packen Jakes Hals und zwingen ihn, rückwärts und fast ohne Atemluft den ganzen Weg bis zu einem Stuhl im hintersten Teil der VIP -Lounge zu stolpern.
Während er nach Luft ringt, geht neben ihm ein älterer Mann mit kurzem weißem Haar in die Hocke und blickt Jake tief in die Augen. »Mein Sohn, wir bedauern, dass wir zu diesem Schritt gezwungen waren. Wir werden Ihnen jetzt als Wiedergutmachung eine Flasche Ihres Lieblingsgetränks bestellen, und Sie werden genau hier sitzen bleiben und es trinken. Verstanden?«
»Das hier ist mein Club!«, protestiert Jake mit krächzender Stimme und steht zu seiner eigenen Überraschung auf, weiß dann aber nicht so recht, wie er weiter verfahren soll. Sein Weg nach vorne ist durch den Krokodilmann und einen weiteren Riesen im schwarzen Anzug blockiert. Er bräuchte Leitern, um die beiden überwinden zu können.
Jenseits der Gebirgsketten ihrer Muskeln bekommt er jedoch wieder Blickkontakt mit der schönen jungen Amerikanerin. Sie murmelt einer neben ihr stehenden Blondine etwas zu und setzt sich – zu Jakes allergrößtem Erstaunen – in seine Richtung in Bewegung.
Ihre Absicht ist unmissverständlich. Sie verliert keinen Moment den Augenkontakt mit ihm. Wer auch immer sie sein mag, sie kommt schnurstracks auf ihn zu, um mit ihm zu sprechen.
Die Muskelberge treten drohend einen Schritt näher, aber das ist ihm egal. Es heißt, Liebe tue weh. Jake hat das Gefühl, dass er gerade kurz davor steht, herauszufinden, wie sehr.
19
Unten in der Halle zirpt Gideons Handy wie ein Vogel, der in einen Rauchfang geraten ist.
Gideon weiß, dass er das Telefon nicht erreichen wird, ehe es auf seinen Nachrichtenservice umschaltet, stürmt aber dennoch aus dem geheimen Raum seines Vaters und unternimmt zumindest den Versuch.
Er kommt nur wenige Sekunden zu spät.
Während die Mailbox läuft, geht er hinüber in die Küche und sucht dort auf den Arbeitsflächen nach einem Stift und Papier. Neben dem Kühlschrank findet er schließlich einen kleinen Notizblock mit einem daran befestigten Stift. Auf dem obersten Blatt bemerkt er eine schlichte Einkaufsliste: Käse, Kekse, Obst, Schokolade. Vermutlich das letzte Abendessen, das sein Vater zu sich genommen hat.
Er notiert sich die Nummer des verpassten Anrufs und wählt sie, sobald die Nachricht zu Ende ist.
Am anderen Ende meldet sich eine Frauenstimme. »Detective Inspektor Baker.«
Enttäuscht antwortet er: »Hier ist Gideon Chase, Sie haben gerade auf meinem Handy angerufen.«
»Mr. Chase, danke, dass Sie gleich zurückrufen. Ich wollte einen Termin mit Ihnen vereinbaren, damit Sie den Leichnam Ihres Vaters noch einmal sehen können.«
Die Worte schockieren ihn. Er hatte so etwas schon befürchtet. Sie hatte ja sogar schon mit ihm darüber gesprochen, aber nun, da es so weit ist, fühlt er sich völlig unvorbereitet. »Ja. Danke.«
»Das Bestattungsunternehmen heißt Abrahams and Cunningham und hat seinen Sitz in Shaftesbury, in der Bleke Street. Wissen Sie, wo das liegt?«
»Nein, ich kenne mich hier in der Gegend überhaupt nicht aus.«
»Es ist ganz leicht zu finden, auf der rechten Seite, gleich nach dem Ivy-Cross-Kreisverkehr. Die Leute von der Bestattungsfirma haben als Termin morgen Vormittag um zehn Uhr vorgeschlagen. Falls Sie da keine Zeit haben, gebe ich Ihnen die Nummer, dann können Sie selbst einen passenderen Termin vereinbaren.«
Es existiert keine Uhrzeit, die wirklich
passend
ist, um den halb zerfetzten Leichnam des eigenen Vaters in Augenschein zu nehmen. Auf typisch englische Manier sagt Gideon das genaue Gegenteil von dem, was er gerade denkt. »Nein, zehn passt mir sehr gut.«
»Gut. Dann bestätige ich den Termin.«
»Danke.«
Megan spürt seine Anspannung. »Wenn Sie möchten, kann ich Sie von einem Beamten begleiten lassen. Würde
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