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Das stumme Lied

Titel: Das stumme Lied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Robinson
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und in den Kommoden und Schränken war nicht mehr zu finden als sorgfältig gebügelte Hemden, ein paar Sportjacken, ein gebügelter Anzug und ordentlich gefaltete Unterwäsche und Socken. Die Wohnung schien überhaupt keine persönliche Note zu haben. War er wirklich ihr Mann? Es musste doch noch irgendein anderes Zeichen geben als nur das Buch.
      Als sie wieder unten war, suchte Sue nach einer Kellertür, konnte jedoch keine finden. Vielleicht war der Keller genauso aufgeräumt, dachte sie. Sie war schon nervös genug, überhaupt im Haus zu sein; wenn sie im Keller eine Leiche fände, wusste sie nicht, wie sie reagieren würde. Doch das war albern, sagte sie sich, das waren nur ihre Nerven. Er nahm die Leichen nicht mit nach Hause.
      Sie öffnete die Türen des Eichenschranks und fand etwas Port, Sherry und Brandy, dazu Gläser in verschiedenen Formen und Größen, Platzdeckchen und ein weißes Leinentischtuch. In einer der oberen Schubladen befand sich alltäglicher Krimskrams, den man im Haus brauchte: Lötdraht, Bindfaden, Kerzen, Streichhölzer, Taschenmesser, Schnürbänder, Bleistiftstummel.
      Als sie jedoch die zweite Schublade aufzog, blieb Sues Herz stehen.
      In der Schublade, die mit einem ausgeblichenen Stück Tapete mit Rosenmuster ausgelegt war, lagen sechs Haarsträhnen ordentlich in einer Reihe, jede in der Mitte mit einem rosafarbenen Band zusammengebunden. Sechs Opfer, sechs Haarsträhnen. Sue wurde schwindelig. Sie musste sich umdrehen und an der Lehne des Sessels festhalten. Nachdem sie das Schwindelgefühl unterdrückt hatte, wandte sie sich wieder dem Anblick zu, den sie gerade wegen der oberflächlichen Normalheit so grausig fand. Besonders das war makaber an diesem Mann: keine abgetrennten Brüste, Ohren oder Finger, nur sechs Haarsträhnen, die ordentlich in einer Reihe auf einem Stück ausgeblichener Tapete mit Rosenmuster lagen. Und etwas weiter hinten in der Schublade eine Schere, eine Rolle rosafarbenes Satinband und ein langes Messer mit abgewetztem Knochengriff und einer funkelnden rostfreien Stahlklinge.
      Doch es waren die Haare, die Sues Aufmerksamkeit gefangen nahmen. Sechs Strähnen. Eine blonde, eine schwarze, zwei brünette, zwei rote. Sie streckte ihre Hand aus und berührte sie, als würde sie eine Katze streicheln. Sie konnte ihnen sogar Namen zuordnen. Eine der roten Locken, die dunklere, stammte von Kathleen Shannon; die blonde von Margaret Snell; die gelockte, brünette Strähne hatte Kim Waterford gehört und die glatte, pechschwarze Strähne Jill Sarsden. Keine davon war Sues. Er muss gestört worden sein, ehe er dazu kam, sich seine Trophäe zu sichern, dachte sie. Bestimmt war das Abschneiden des Souvenirs der letzte Teil seiner Tat. Und die Polizei hatte nie ein Wort davon gesagt - was bedeutete, dass die Beamten es entweder nicht wussten oder das Wissen absichtlich für sich behielten, um Trittbrettfahrer abzuhalten, falsche Geständnisse überprüfen zu können und natürlich um das echte zu belegen, wenn es denn jemals eines geben sollte.
      Tja, dachte Sue, hier gab es ein Versehen, das sie ganz leicht korrigieren konnte. Sie schob ihre Perücke zurück, nahm die Schere und schnitt von ihren eigenen Haaren vorsichtig eine Strähne von ungefähr fünf Zentimeter Länge ab, exakt die gleiche Länge der anderen. Dann band sie die Strähne ordentlich zusammen und legte sie in die Reihe.
      Nun, dachte Sue voll und ganz zufrieden mit sich, warte einfach ab, bis er es bemerkt. Sie war überzeugt davon, dass er sich jeden Tag an seinen Trophäen aufgeilte, und welchen unglaublichen Schrecken würde es ihm einjagen, wenn er dort die andere Strähne fand. Er würde nicht nur wissen, dass jemand hinter ihm her war, er würde wahrscheinlich auch wissen, wer. Und das war genau das, was Sue wollte.
      Obwohl man im Haus außer Sues Herzschlag nichts hören konnte, war sie unruhig. Es wurde Zeit zu gehen, bevor er zurückkam. Sie schob die Schublade zu und eilte zurück zum Küchenfenster.
     
     

* 44
    Kirsten
     
    In diesem Sommer unternahm Kirsten häufig ausgedehnte gedankenverlorene Spaziergänge durch den Wald und leichtsinnige Fahrten über Land. Kurz vor Semesterende, fast genau ein Jahr nachdem sie überfallen worden war, hatte der Mörder sein sechstes Opfer - das fünfte, das sterben musste - in einer ruhigen Schwesternschülerin aus Halifax namens Jill Sarsden gefunden. Wie üblich klebte Kirsten das Foto und die Artikel in ihr Album.
      Zu

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