Das stumme Lied
konnte Martha, aber sie sagte es nicht. Stattdessen versuchte sie ihn trotz der Wut in ihrem Bauch zu beschwichtigen. »Es ist ja nicht so, dass ich dich nicht mag«, sagte sie. »Es geht nur zu schnell. Ich bin einfach nicht die Richtige für einen Urlaubsfick.«
Jetzt wirkte Keith beleidigt. »Das ist ungerecht. Das hatte ich nicht im Sinn.«
Doch, das hatte er, wusste Martha. Ach, Keith war ein ganz netter Junge, nicht zu aufdringlich, aber am Ende wollte er doch nur mit ihr ins Bett gehen. Er würde behaupten, dass er so etwas normalerweise nicht täte, und sie sollte das Gleiche sagen. Dann würde er ihr erklären, dass es völlig anders mit ihr war, etwas ganz Besonderes. Er war selbstverständlich ein Wolf, allerdings ein zahmer. Nach der Abfuhr schmollte er nur und wurde mürrisch. Nicht alle wurde man so leicht los wie ihn.
»Na komm«, sagte Martha. »Gehen wir zurück. Es wird kühl.«
Mit den Händen in den Taschen und gesenktem Kopf trottete Keith neben ihr zurück zur Pension.
* 14
Kirsten
»Es ist mein Körper. Ich habe ein Recht, es zu erfahren.«
Kirsten saß gegen die Kissen gelehnt, ihre Augen waren geschwollen, auf ihren Wangen waren die Tränen getrocknet. Der Arzt stand am Fußende des Bettes, ihre Eltern saßen neben ihr.
»Ihre Verfassung erlaubte es nicht, Sie zu beunruhigen«, sagte der Arzt. »Sie hatten ein schweres Trauma erlitten. Wir mussten jede Aufregung vermeiden.« Zum ersten Mal schaute Kirsten ihn richtig an. Er war ein kleiner, dunkelhäutiger Mann mit tiefen Furchen in der Stirn, die zwischen seinen buschigen, schwarzen Augenbrauen ein V bildeten. Irgendwie gaben ihm die Falten das Äußere eines unbeherrschten Menschen, obwohl Kirsten keinerlei Anzeichen dafür erlebt hatte. Auch wenn er versucht hatte, ihr das volle Ausmaß ihrer Verletzungen vorzuenthalten, er war immerhin liebenswürdig gewesen.
»Ich bin beunruhigt«, sagte sie. Ihr Nachthemd war mittlerweile wieder zugeknöpft, die Erinnerung an das, was sie gesehen hatte, erschreckte sie jedoch noch immer. »Hören Sie, ich bin kein kleines Mädchen. Irgendetwas stimmt nicht. Sagen Sie es mir.«
»Wir wollten dich nicht aufregen, Liebes«, wiederholte ihre Mutter die Worte des Arztes. »Später, wenn du dich besser fühlst, ist noch genug Zeit für Einzelheiten. Warum ruhst du dich jetzt nicht erst einmal aus? Der Doktor wird dir ein Beruhigungsmittel geben.«
Kirsten richtete sich mühsam auf. »Ich will kein verfluchtes Beruhigungsmittel! Ich will die Wahrheit wissen, jetzt gleich! Wenn Sie mir nichts sagen, stelle ich sie mir nur noch schlimmer vor, als sie vielleicht ist. Ich fühle mich furchtbar, aber ich glaube nicht, dass ich sterben werde, oder? Was kann denn sonst so schlimm sein? Was könnte schlimmer sein als das?«
»Legen Sie sich wieder zurück und beruhigen Sie sich«, sagte der Arzt und drückte sie sanft hinab. »Nein, Sie werden nicht sterben. Jedenfalls nicht, bevor Sie ein biblisches Alter erreicht haben. Wenn überhaupt, dann hätte die Gefahr früher bestanden, aber jetzt sind Sie über den Berg.« Er stellte sich wieder ans Fußende des Bettes.
»Dann sagen Sie mir, was los ist.«
Der Doktor zögerte und schaute zu ihrem Vater. »Na gut«, sagte der. »Erzählen Sie es ihr.«
Kirsten hätte ihn am liebsten angeblafft, dass er nichts zu erlauben hatte. Sie war einundzwanzig Jahre alt; sie brauchte seine Zustimmung nicht. Aber wenn das die einzige Möglichkeit war, die Wahrheit herauszufinden, dann sollte es so sein.
Der Doktor seufzte und starrte auf einen Punkt an der Wand über ihrem Kopf. »Was Sie gesehen haben«, begann er, »ist das Ergebnis der Notoperation, die Nähte. Jetzt sieht es schlimm aus, aber wenn sie geheilt sind, wird es besser werden. Es wird nicht wie neu aussehen, aber besser als jetzt.«
Alles wäre besser als der jetzige Zustand, dachte Kirsten und sah ihre roten und geschwollenen Brüste vor sich, übersät mit Nähten, die aussahen wie Reißverschlüsse, wie aus einem Frankensteinfilm.
»Als Sie eingeliefert wurden«, fuhr der Doktor fort, »war eine Brust fast abgetrennt. Wir haben allein in der Brustregion dreizehn einzelne Stichwunden gezählt.« Er zuckte mit den Achseln, beugte sich nach vorn und hielt sich am Bettgestell fest. »Wir haben angesichts dieser Umstände unser Möglichstes getan.«
»Allein? Sie sagten allein. Was war denn noch?«
»Sie wurden im
Weitere Kostenlose Bücher