Das stumme Lied
stoppen. Aber wie gesagt, es war eine Notoperation.«
»Wollen Sie mir sagen, Sie haben irgendeinen Fehler gemacht, weil Sie in Eile waren? Ist es das?«
»Nein. Wir haben die Standardrichtlinien für Notfälle befolgt. Wie gesagt, Sie waren nicht bei Bewusstsein. Wir mussten schnell handeln.«
»Was wollen Sie mir denn nun sagen?«
»Nun, es ist zum Verlust von Gewebe gekommen, und die Schäden könnten ernsthaft genug sein, um permanente Probleme zu verursachen.«
»Als da wären?«
»Das wissen wir noch nicht, Kirsten.«
»Und was bedeutet das alles für mich?«
»Geschlechtsverkehr könnte ein Problem sein«, erklärte der Doktor. »Es könnte schmerzhaft und schwierig sein.«
Kirsten lag einen Moment reglos da, dann lachte sie und sagte: »Oh, großartig! Darauf habe ich jetzt auch richtig Lust, auf einen echt guten Fick.«
»Kirsten!«, blaffte ihr Vater. Es war das erste Mal seit Jahren, dass sie ihn wütend sah. »Hör zu, was der Doktor sagt!« Ihre Mutter begann wieder zu weinen.
»Es besteht die Möglichkeit, dass durch plastische Chirurgie irgendwann in der Zukunft Verbesserungen erzielt werden können«, fuhr der Doktor fort, »eine Garantie gibt es jedoch nicht.«
Schließlich dämmerte Kirsten, was er meinte - eher durch seinen Tonfall als durch seine eigentlichen Worte -, und sie spürte eine eisige Kälte durch ihren gesamten Körper fahren. »Es könnte für immer sein?«
»Leider ja.«
»Und eine Hysterektomie kann man auch nicht rückgängig machen, oder?«
»Nein.«
Kirsten drehte sich zum Fenster und sah, dass es draußen regnete. Das Laub in den Baumwipfeln tanzte unter dem Schauer und die entfernten Wohnblöcke waren schiefergrau geworden. »Für immer«, wiederholte sie zu sich selbst.
»Es tut mir Leid, Kirsten.«
Sie schaute ihren Vater an. Es war merkwürdig, solche Dinge wie ihr Sexualleben in seiner Anwesenheit zu besprechen; das hatte sie noch nie getan. Sie hatte keine Ahnung, welche Gedanken er sich darüber machte, was sie während des Studiums getan hatte. Doch nun saß er da und sah traurig und mitfühlend aus, weil sie keinen Sex mehr haben konnte, möglicherweise nie wieder. Vielleicht traf ihn aber auch am meisten die Tatsache, dass sie keine Babys mehr bekommen konnte, schließlich war sie sein einziges Kind.
Sie selbst wusste nicht, was schlimmer war. Noch nie in ihrem Leben waren diese beiden Dinge so eng miteinander verbunden gewesen. Seit zwei Jahren hatte sie die Pille genommen und regelmäßig mit Galen geschlafen, der erst ihr zweiter Liebhaber war. Die beiden hatten nie an Kinder oder die Zukunft gedacht, doch jetzt, da sie sich an ihren gleichermaßen sanften und ekstatischen Sex erinnerte, kam ihr gleichzeitig der Gedanke an ein neues Leben, das durch den Sex in ihr wachsen könnte. Welche Ironie, dass sie erst die Fähigkeiten, Sex zu genießen und Kinder zu gebären, verlieren musste, um zu erkennen, wie eng beides miteinander verknüpft war. Sie lachte.
»Ist alles in Ordnung mit dir?«, fragte ihr Vater und kam zu ihr, um ihre Hand zu nehmen. Sie ließ ihn gewähren, doch ihre blieb schlaff.
»Keine Ahnung.« Sie sah ihn an und schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung. Ich fühle mich innerlich irgendwie leer, völlig ausgetrocknet und tot.«
Der Doktor stand immer noch am Fußende. »Wie ich bereits sagte, vielleicht kann Ihnen die plastische Chirurgie helfen. Es lohnt sich sicher, darüber nachzudenken. Ich weiß nicht, ob Sie das verstehen«, sagte er, »oder ob Sie sich dessen jetzt schon bewusst sind, aber Sie haben wirklich großes Glück gehabt, mit dem Leben davongekommen zu sein.«
»Ja«, sagte Kirsten und rollte sich auf die Seite. »So ein Glück.«
* 15
Martha
Am nächsten Morgen war das frisch verheiratete Paar verschwunden, und obwohl deshalb ein Tisch frei blieb, setzte sich Keith wieder zu Martha. Er machte während des Frühstücks höfliche Konversation, legte aber nicht annähernd den Überschwang und die Energie an den Tag wie am vergangenen Morgen, als er zum ersten Mal an einem Tisch mit ihr saß. Die Enthaltsamkeit hatte seiner Stimmung einen schweren Dämpfer verpasst, vermutete sie. Sie hielt es für das Beste, die letzte Nacht unerwähnt zu lassen. Schließlich war es ja Keiths letzter Tag; morgen würde sie vielleicht allein frühstücken können.
Ein besonders naher und lauter Schwarm Möwen hatte die
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