Das stumme Lied
verstand, wie er sich so sicher sein konnte. Sie fragte sich, ob die Penetration durch ein kurzes, spitzes Metallobjekt als Vergewaltigung galt? Am Ende hatte sie sich einfach der allgemeinen Auffassung angeschlossen, dass Menschen, die tun, was dieser Mann ihr angetan hatte, normalerweise nicht zu echtem Geschlechtsverkehr fähig waren.
»Was ist mit Toronto?«, fragte Galen, setzte sich wieder auf den Stuhl und beugte sich zu ihr.
»Keine Ahnung. So wie es jetzt aussieht, kann ich mir nicht vorstellen, zu gehen. Wenigstens nicht in diesem Jahr.«
»Aber es ist noch einen Monat hin. Wahrscheinlich fühlst du dich bis dahin schon besser.«
»Vielleicht. Aber fahr du nur. Mach dir keine Sorgen um mich.«
»Ich fahre nicht ohne dich.«
»Galen, sei nicht so stur. Es macht keinen Sinn, dass du deine Karriere wegen mir opferst. Im Moment kann ich dir nichts versprechen. Ich kann nicht einmal ...« Und beinahe hätte sie es ihm erzählt, hielt sich aber gerade noch rechtzeitig zurück. »Ich weiß einfach nicht, wie sich alles entwickeln wird.« Sie begann zu weinen. »Kannst du das nicht verstehen?«
Die Anstrengung, ihn behutsam abzuweisen und gleichzeitig ihre Gefühle und ihre Behinderung vor ihm zu verbergen, war zu viel für sie. Sie wünschte sich, er würde einfach gehen. Als er sich hinabbeugte, um sie zu trösten, spürte sie, wie sie sich verkrampfte und erstarrte. Diese Reaktion überraschte sie; so hatte sie sich noch nie verhalten. Und es kam aus ihrem tiefsten Inneren; wie ein Zucken oder ein Reflex war die Reaktion völlig unfreiwillig. Galen spürte es auch, er wich zurück und sah verletzt aus.
»Ich verstehe«, sagte er steif. »Zumindest versuche ich es.« Er tätschelte ihre Hand. »Belassen wir es im Moment dabei, okay? Wir haben noch eine Menge Zeit, über unsere Zukunft nachzudenken, später, wenn du dich vollständig erholt hast.«
Kirsten nickte und wischte die Tränen mit den Handrücken weg. Galen reichte ihr ein Kleenex.
»Hast du irgendeinen Wunsch?«, fragte er. »Kann ich dir irgendetwas mitbringen?«
»Nein, eigentlich nicht.«
»Ein Buch?«
»Mir ist nicht nach Lesen. Ich kann mich irgendwie nicht konzentrieren. Trotzdem danke. Du solltest besser gehen, Galen, geh zurück nach Hause und kümmere dich um deine Mutter. Ich bin froh, dass du gekommen bist. Ich weiß, dass man mir das wahrscheinlich nicht anmerkt, aber ich habe mich wirklich gefreut.«
Er sah enttäuscht aus, als wäre er fristlos entlassen worden. Kirsten war klar, dass es ihr nicht gelungen war, besonders überzeugend zu klingen. Ihre Brüste schmerzten, sie fühlte sich schon wieder den Tränen nahe. Er hielt ihre Hand, saß da mit dieser Miene eines verlorenen, kleinen Jungen und schien nicht gehen zu wollen.
»Ich werde wiederkommen«, sagte er. »Versprochen. Ich muss sowieso ein paar Tage herkommen, um einige Sachen zu klären.«
»Okay. Aber jetzt bin ich müde.«
Er beugte sich zu ihr herunter und küsste sie sanft auf die Lippen. Sie roch Zahnpasta in seinem Atem. Er muss sich im Zug die Zähne geputzt haben, dachte sie, oder gleich nach seiner Ankunft im Krankenhaus.
Nachdem er gegangen war, konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten. Es schien keine Zukunft mehr zu geben. Auf jeden Fall würde für ihn ein Leben mit ihr unmöglich sein. Wenn er Glück hatte, würden sie sich auseinander leben und er könnte im September nach Toronto gehen. Vielleicht lernte er auch eine andere kennen.
Kirsten hatte keine Ahnung, wie ihre vollständige Genesung aussehen sollte oder ob sie überhaupt möglich war. Als der Doktor von der plastischen Chirurgie gesprochen hatte, hatte er nicht sehr hoffnungsvoll geklungen. Vermutlich würde sie sich äußerlich gut fühlen, auch wenn Narben zurückblieben und verbunden werden mussten. Würde sie sich einfach an ihren neuen Zustand gewöhnen, ihre Vergangenheit hinter sich lassen und weiterleben? Vielleicht sogar mit Galen nach Toronto gehen?
Er würde sehr verständnisvoll mit ihrer Behinderung umgehen, zumindest für eine Weile. Vielleicht würde er sie sogar aus Liebe und Mitleid heiraten, und im Laufe der Zeit würde sie aus Rücksicht ein Auge zudrücken, wenn er sich außerhalb ihrer Beziehung holte, was er brauchte und sie ihm nicht mehr geben konnte. Sie würde schlichtweg dankbar sein, weil er so selbstaufopfernd war, einen Krüppel zu lieben.
Nein. Das klang
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