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Das Südsee-Virus

Das Südsee-Virus

Titel: Das Südsee-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk C. Fleck
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Armutsflüchtlingen zu helfen, die ohne eigenes Verschulden ihrer Lebensgrundlagen beraubt werden. Denn es sind in erster Linie unsere Herzen, die in Ordnung gebracht werden müssen. Die Gestaltung einer besseren Welt hängt nicht zuerst davon ab, wie viel umweltschonende Technik wir einsetzen und wie nachhaltig wir wirtschaften – eine bessere Welt ist nur möglich, wenn wir zu einer grundsätzlich anderen Lebens- und Weltanschauung finden.«
    »Tut mir leid, Sir, ich kann Sie nicht mehr reinlassen.«
    Cording zeigte dem Saaldiener seinen Presseausweis.
    »Nichts zu machen, Sir. Ich befolge nur meine Anweisungen.«
    »Hören Sie«, sagte Cording, »ich bin Mitglied der tahitianischen Delegation.«
    »So sehen Sie auch aus. Bitte bleiben Sie vor der Tür. Während der Rede der Präsidentin darf niemand in den Saal. Raus ja, rein nein.«
    »Wer hat sich denn diesen Schwachsinn ausgedacht?«
    »Dieser Schwachsinn, Sir, geschieht auf ausdrücklichen Wunsch der polynesischen Delegation.«
    Oh …
    Steve fühlte sich hin- und hergerissen. Einerseits wollte er keine Sekunde von Maevas Vortrag verpassen, andererseits schmerzte es ihn, dass ausgerechnet Cording glaubte, sich diesen historischen Moment ersparen zu können. Eigentlich wäre es seine Freundespflicht gewesen, nach Cording zu suchen und ihn notfalls mit Gewalt herzuschleppen. Aber jedes Mal, wenn er kurz davor war, seinen Platz zu verlassen, hielten ihn Maevas Worte zurück, schien sie ihm etwas Wichtiges mitteilen zu wollen.
    »Die Krise, in der wir uns befinden, ist eine Krise der Herzen«, wiederholte sie mit ihrer melodiösen, wie durch Honig gezogenen Stimme. Durch Honig gezogen – Cording hatte es einmal so formuliert, und seitdem bekam Steve es nicht mehr aus dem Kopf. »Wir wissen einfach nicht mehr, woran wir uns orientieren sollen«, hörte er Maeva sagen, »es ist ein moralischer Kollaps, den wir erleben. Die Beziehungen zwischen uns Menschen und den Pflanzen, Tieren und Wesenheiten unserer Mitwelt sind zerbrochen. Warum ist das so? Weil wir den Dünkel besaßen, uns selbst in den Mittelpunkt der Schöpfung zu stellen. Wir haben uns abgenabelt vom Leben, wir schätzen und schützen es nicht, wir beuten es aus. Aber wir können nur etwas beherrschen wollen, von dem wir uns grundsätzlich getrennt glauben.«
    Maeva blickte sich intensiv unter den Besuchern um. »Von allen Gefahren, die uns heute drohen, ist keine so groß wie die Verdrängung der Katastrophe in unseren Köpfen. Ich verstehe, warum das passiert. Einzeln fühlen wir uns angesichts der Wahrheiten, die es zu konfrontieren gilt, so klein und zerbrechlich, dass wir glauben, es würde uns in Stücke reißen, sobald wir uns erlaubten, unsere Gefühle über den Zustand der Welt zuzulassen. Aber unser Schmerz um den Zustand der Welt und unsere Liebe für die Welt sind untrennbar miteinander verbunden, sie sind zwei Seiten derselben Medaille.«
    Cording hatte keine Lust , Maevas Rede auf den installierten Monitoren im Foyer zu verfolgen. Er hatte keine Lust, sich unter diejenigen zu mischen, die wie er um einige Minuten verspätet waren und die ihren Frust über die Aussperrung mit einem Glas Champagner zu mildern versuchten. Wie ein Panther schlich er auf dem roten Teppich um den Konzertsaal, immer an den Garderoben entlang, immer in der Hoffnung, irgendwo eine unbewachte Tür zu finden, durch die er schlüpfen konnte. Keine Chance. Die Saaldiener standen wie angewurzelt vor den Eingängen, sie gaben ihm schon von Weitem zu verstehen, dass jeder Versuch, sie zu überlisten, zwecklos war.
    Enttäuscht blieb er stehen. Hinter dem Tresen, an dem er lehnte, saß eine ältere Frau inmitten von Jacken und Regenschirmen und starrte auf einen kleinen Fernseher, den sie auf einem Stuhl in der Ecke postiert hatte. Cording fragte, ob er sich zu ihr setzen dürfe, und wurde höflich dazu eingeladen. Was er kurz darauf zu sehen bekam, verschlug ihm die Sprache. Maeva stand nicht etwa am Pult wie die Redner vor ihr, sie kniete in einem Blumenmeer am Boden, anmutig und aufrecht. Sie wirkte dermaßen souverän, dass ihre schöne Gestalt und die ganze Farbenpracht völlig nebensächlich wurden. Sie war eine Predigerin geworden, eine beseelte Kriegerin, deren Autorität hier niemand leugnete. Sie hat sich über uns erhoben, dachte Cording. Nicht aus Dünkel, aus Berufung. Ein hartes Los.
    Die Magie von Maevas Vortrag wurde auch nicht durch die praktischen Passagen getrübt, die sie gelegentlich einstreute.

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