Das Südsee-Virus
beizuwohnen. Eine Frau aus ihren Reihen hatte die große politische Bühne betreten und wurde weltweit gefeiert. Entsprechend gedrängt standen die Menschen zwischen den alles überragenden Videowänden, die an den Stirn- und Längsseiten des Platzes installiert waren. Der angrenzende Boulevard Pomare war für den Verkehr gesperrt und zu einer einzigen Garküche umfunktioniert worden. Von der Église Jaune, der gelben Kirche im Süden, bis zur Place Taota im Norden reihte sich eine Roulotte an die nächste. Die ganze Stadt duftete nach Fisch und Fleisch, nach Gemüse und Obst. Und natürlich nach dem betörenden Aroma der Tiare-, Frangipani- und Hibiskusblüten, welche die Frauen im Haar und um den Hals trugen.
Dreizehn der dreiundvierzig URP-Mitgliederregionen hatten sich bereits vorgestellt. Die Tahitianer staunten über die virtuosen Darbietungen ebenso wie über den prächtigen Konzertsaal, in dem diese aufgeführt wurden. Sie applaudierten aber auch den eigenen Tanzgruppen, die nebenan auf dem Quai d’Honneur in Aktion traten, wenn die Bühne in der Sydney-Oper wieder einmal umdekoriert wurde. Sobald sich in Australien aber ein neuer Vorhang hob, verstummten die Klänge der großen und kleinen Trommel, der Nasenflöte, der Meerschnecke und der Ukulele, unterbrachen die Steinheber, Früchteträger und Feuerläufer ihre Wettbewerbe.
Was die Tahitianer an diesem Tag aus den autonomen Regionen zu sehen und zu hören bekamen, was Inuit, Aborigines, Bassari, Karen, Khmer, Hopi, Aymara und viele andere ihnen boten, begeisterte alle im Herzen Papeetes. Dass dies zu Ehren ihrer Präsidentin geschah, machte die Menschen stolz. Stolz und glücklich. So komprimiert war das Glück in diesen Stunden vermutlich an keinem anderen Ort der Welt zu finden …
Die meisten Gäste waren aus der Pause zurückgekehrt und hatten bereits wieder Platz genommen. Steve fragte sich, wieso das Rednerpult in die Kulissen geschoben wurde und die Teleprompter abgebaut wurden – ausgerechnet vor Maevas Auftritt. Stattdessen streute man Blumen, legte eine Bastmatte in der Mitte der Bühne aus und bestückte sie mit einer Reihe bunter Kissen.
Wo blieb Cording? Steve wusste, wie angespannt der Mann war, welche Sorgen er sich um Maeva machte und wie grauenhaft es für ihn wäre, Zeuge ihres Scheiterns zu werden. Die Saaldiener begannen, die Türen zu schließen. Das Licht in der Concert Hall erstarb, und aus den Reihen war nur noch vereinzelt ein Hüsteln oder Räuspern zu hören. Langsam schälte sich die Bühne aus dem Dunkel. Inmitten von Blumen und Kissen kniete eine grazile Gestalt auf der Matte. Sobald das Publikum registrierte, wen es vor sich hatte, begann es vor Begeisterung zu toben, erst recht, als Maeva kurz darauf überlebensgroß auf den beiden Screens erschien, die links und rechts der Bühne installiert waren.
Steve konnte sich nicht satt sehen an der Schönheit dieser Frau, die mit einem kaum wahrnehmbaren Lächeln auf die nicht enden wollenden Huldigungen reagierte. Ihre Augen streiften ohne Hast durch den Musiktempel, als wollte sie ihn bis in den letzten Winkel erkunden. Dabei fuhren ihre Blicke wie behutsam gesetzte Pinselstriche über die Reihen, in denen sich die Menschen nun als Bestandteil eines einzigen, großartigen Gemäldes fühlen durften. Maeva trug einen üppigen Kranz weißer Tiareblüten um den Hals, der ihr bis zum Bauchnabel reichte. Ihre schwarze, lockige Mähne floss die nackten Schultern hinab und rahmte den Blumenschmuck auf voller Länge ein, sodass sie sich über dem in der Taille geknoteten rotgelben Pareo nicht die geringste Blöße gab, obwohl er wetten konnte, dass die meisten im Publikum das anders sahen.
Nach einigen Minuten führte Maeva die rechte Faust ans Herz, schlug die Augen nieder und neigte den Kopf kaum merklich nach vorn. Innerhalb von Sekunden wich der Begeisterungssturm einer fast andächtigen Stille.
»Iaorana!«, begrüßte Maeva die Anwesenden in Maori, um dann auf Englisch fortzufahren. »Ich bin froh, dass Sie gekommen sind, ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen. Mit Ihnen und allen anderen Menschen … Bevor ich Ihnen jedoch erzähle, wie ich mir eine solche Zusammenarbeit vorstelle, möchte ich mich bei den zwölf Regionen Australiens bedanken. Ohne ihre Bereitschaft, den Hilflosen und Verfolgten dieser Welt eine neue Heimat zu geben, hätte ich für dieses Amt nicht kandidiert. Es muss uns eine Herzensangelegenheit sein, der großen Schar von Umwelt- und
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