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Das Südsee-Virus

Das Südsee-Virus

Titel: Das Südsee-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk C. Fleck
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Gerade war sie dabei, die Grundpfeiler der neuen Verfassung zu erläutern, die sich die URP geben wollten. Eine komplexe Materie, die man nicht so eben aus dem Ärmel schüttelte. Cording erinnerte sich an die Schwierigkeiten, denen sich der internationale Expertenrat gegenübersah, der auf Betreiben Tahitis wochenlang an der Universität von Faaa beraten hatte. Viele Teilnehmer befürchteten damals, dass die radikalen Forderungen der URP zum Schutze des planetarischen Ökosystems von den Supermächten USA, China, Indien, Brasilien und Russland als Provokation aufgefasst werden könnten, die den Krieg um die verbliebenen Ressourcen eher beförderte als verhinderte.
    »Bisher haben wir den Umweltschutz lediglich als Menschenschutz begriffen«, hörte er Maeva sagen. »Bisher sprachen wir ausschließlich von Beständen, wenn von der Natur die Rede war. Wir machten in allem unsere Rechnung auf. Dieses Denken war nicht dem Leben verpflichtet, sondern einer Buchhaltungsmentalität. Damit ist jetzt Schluss. Wir sind angetreten, um für ein neues Bewusstsein zu werben. Wir sind nicht dazu da, einem todkranken Wirtschaftssystem durch den Ausverkauf unserer Ressourcen das Leben zu verlängern. Ich bin gerne bereit, in der Umweltpolitik, so wie wir sie verstehen, mit den Vereinten Nationen zusammenzuarbeiten. Denn unser Ziel muss es sein, dass sich wieder alle Menschen der Schöpfung verbunden fühlen. Nur so ist ein dauerhafter, kreativer Frieden auf und mit der Erde möglich.«
    Die Garderobenfrau wischte sich verstohlen die Augen. Auch Cording zeigte sich von der sanften Art, in der Maeva Klartext redete, zutiefst beeindruckt.
    Steve hatte den Gedanken, nach Cording zu suchen, längst verworfen. »Die Erde ist ein lebendiges System, in dem alle Dinge miteinander verwoben und voneinander abhängig sind«, sagte Maeva und beschrieb mit den Händen einen Bogen, als würde sie die Aura eines Neugeborenen streicheln. »Wer könnte ernsthaft daran zweifeln …«, fuhr sie leise fort, »wir alle leben von der Erde, sie ist unser Lebensspender. Glaubt denn jemand im Ernst, dass etwas, das Leben spendet, selbst ohne Leben ist?«, fragte sie und blickte sich quälend lange um. »Erst wenn wir bereit sind, uns als Bestandteil eines lebendigen Erdkörpers zu verstehen«, fuhr sie fort, »wird sich unsere Stellung in der Welt grundsätzlich verändern. Eine solche Perspektive hat dramatische Folgen für unser inneres und kollektives Wachstum. Sie mag angesichts der herrschenden Probleme visionär und verträumt wirken, aber eine Gesellschaft, die keine Visionen entwickelt, ist nicht zukunftsfähig. Zum ersten Mal in unserer Geschichte sind wir mit der selbst verursachten Zerstörung aller biologischen Lebensgrundlagen konfrontiert. Keine Generation vor uns hatte eine solche Bedrohung auszuhalten. Die eigentliche Frage, die wir uns also zu stellen haben, lautet: Kollektiver Selbstmord oder geistige Erneuerung? In dieser Frage, meine lieben Freunde, liegt eine ungeheure Chance. Die Menschen hungern förmlich nach einer positiven Perspektive. Wer, wenn nicht wir, die wir uns bereits besonnen haben, könnte ihnen eine solche Perspektive bieten?«
    Im lang anhaltenden Beifall witterte Cording seine Chance. Er schwang sich über den Tresen und steuerte auf die nächstgelegene Tür zu, vor der sich ihm aber prompt einer dieser uniformierten Wächter in den Weg stellte. Einen Augenblick lang war er versucht, den doch recht schmächtigen Mann beiseitezuschubsen, die Tür aufzureißen und in der tobenden Menge unterzutauchen. Dann besann er sich und trottete zurück an seinen Platz, dort wo die Mäntel hingen, wo die alte Frau ihm den Hocker zurechtrückte, ohne dabei den Blick vom Fernseher zu nehmen.
    »Wir müssen uns fragen: Was wollen wir? Wer sind wir? Was brauchen wir?«, hörte er seine Liebste sagen, die aus einer anderen Sphäre zu ihm zu sprechen schien. »Indem wir uns dies fragen, schulen wir nicht nur unsere Wahrnehmung, wir formulieren auch unsere Bedürfnisse neu. Lassen Sie mich an dieser Stelle einen aktuellen Ausspruch eines Mapuche-Häuptlings zitieren. Die Mapuchen, deren angestammtes Gebiet sich auf Chile und Argentinien erstreckt, hatten nicht nur der spanischen Kolonisation erbitterten Widerstand entgegengesetzt, sie stritten bis in unsere Tage um ihr Land und ihre Unabhängigkeit. Umso erstaunlicher nun, was ihr Sprecher vor Kurzem auf einem Kongress der indigenen Völker zum Besten gab: ›Wir Mapuchen kämpfen nicht

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