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Das Südsee-Virus

Das Südsee-Virus

Titel: Das Südsee-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk C. Fleck
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das sagenumwobene Bhutan, das sich nach einer kurzfristigen Öffnung um die Jahrtausendwende wieder entschieden hatte, sich von der Welt zurückzuziehen. Zu tief saß der Schock über Kriminalität, Drogen und Aids, die sich infolge der offenen Grenzen wie unkontrollierbare Geschwüre in ein Land gefressen hatten, dessen Verfassung die Nationale Glückseligkeit zum obersten Ziel erhoben hatte.
    Die Hand des Piloten fuhr unter das Kabinendach, wo sie nach einer genau festgeschriebenen Choreografie zwischen Kipp- und Drehschaltern virtuos hin und her tanzte. »Ich schalte jetzt den Autopiloten ab«, sagte er, »die Instrumente helfen uns nicht mehr weiter.«
    Vielleicht ja doch, dachte Cording, als sie von links nach rechts torkelnd in eine Wolkenwand stießen, nachdem sie eben fast einen stattlichen Siebentausender rasiert hatten. Steve saß wie versteinert in seinem Sitz, er klammerte sich so fest an die Lehnen, dass die Knöchel seiner Hände weiß wurden wie sein Gesicht.
    »Immer schön locker bleiben«, murmelte Cording, für den die Waschküche, durch die sie flogen, kein Ende zu nehmen schien. Dabei stellte er fest, dass er auf seinem Sessel in ähnlich verkrampfter Haltung festgebacken war wie sein junger Freund. Zwei Angsthasen aus einem Guss. Der Himmel lichtete sich, ein Grund zur überschwänglichen Freude war dies jedoch nicht. Unter Fliegen stellte er sich etwas Erhabenes, etwas Erhobenes vor. Stattdessen schrammten sie im Schatten der schneebedeckten Riesen bedenklich nahe an zackigen Felsvorsprüngen vorbei, um es im aberwitzigen Slalom sogleich mit dem nächsten aufzunehmen. Die Tatsache, dass sich der Kopilot die Mütze abnahm, um sich mit der Handfläche über die Stirn zu wischen, trug auch nicht zur Beruhigung bei. »Wieso ist der Schnee so schmutzig?«, fragte Steve den Piloten. Na, der Junge hatte Nerven!
    »Das ist der Feinstaub aus den Kohlekraftwerken«, antwortete stellvertretend der Kopilot.
    »Bhutan verfügt über Kohlekraftwerke?!«
    »Nein, wir nicht. China. Die bauen jede Menge davon. Der ganze Himalaja sieht inzwischen so aus.«
    Cording hätte gerne seinen Senf dazugegeben, aber die Maschine befand sich in einem spektakulären Sinkflug. Wenn er jetzt den Mund aufmachte, würde alles Mögliche herauskommen, nur keine Worte. Er dachte an die Frauen – hingen sie über den Kotztüten oder nicht? Hör auf!, dachte er. Konzentriere dich auf die Landung! Tatsächlich folgten sie jetzt einigermaßen ausgerichtet in geringer Höhe dem Lauf eines Flusses, der sie durch das enge Tal sicher nach Paro leiten sollte. Nach der Tortur der letzten halben Stunde kam ihm der Anflug, bei dem sie wie auf Schmierseife dahinglitten, geradezu erholsam vor; jedenfalls ging es seinem Kopf so, der Magen dachte anders.
    Kaum dass die Maschine aufgesetzt hatte, stürmte Cording die Toilette. Als er sie nach einigen Minuten schweißgebadet wieder verließ, war es zu spät, um den anderen die Treppe hinunter zu folgen. Durchs Fenster beobachtete er, wie Prinzessin Kissan Mangwo, die Schwester des Königs von Bhutan, die URP-Generalsekretärin mitsamt ihrer erlauchten Delegation willkommen hieß. Steve stand auf dem roten Teppich artig an und verbeugte sich als Letzter. Danach schmetterte eine knallbunt gewandete Militärkapelle den Begrüßungsmarsch. Cording stieg wenig später mit den Piloten aus, bei denen er sich ausgiebig und überschwänglich bedankte. Die anderen kamen ja nicht auf die Idee …
    Es war dreiundzwanzig Uhr, als Mark Dowie das »Lisboa Plaza« verließ. An der Rezeption hatte man ihm gesagt, dass der Fado Vadio, der gelegentlich noch in den Tascas der Altstadt gespielt wurde, erst nach Mitternacht zu hören war. Eigentlich hätte er zu Fuß gehen wollen, aber kaum dass er auf die Avenida da Liberdade einbog, begann es zu regnen. Er winkte einem Taxi. An der Praça do Comércio stieg er aus. Von hier aus waren es nur noch wenige Schritte bis zur Alfama, die wie eine Zeitreisende am Saum der Stadt kauerte. Er stieg eine schmale, ausgetretene Steintreppe zwischen zwei Häuserwänden hinauf, auf denen die schabenden Schultern seiner zahlreichen Vorgänger Spuren hinterlassen hatten. Es war gespenstisch still in den Gassen, die ohne die durchfließenden Touristenströme zu alter Autorität fanden. Lissabons Urzelle trug Schwarz in dieser Nacht, selbst die Laternen hielten sich im Erhellen des Mysteriums zurück.
    Dowie stellte den Mantelkragen auf. Er kam sich verloren vor, aber genau das war es

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