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Das Südsee-Virus

Das Südsee-Virus

Titel: Das Südsee-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk C. Fleck
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Gyalpo, zum Drachenkönig, gekrönt worden. In die Menge kam Bewegung. Cording hatte den Eindruck, als würde sie zu einem einzigen Körper verschmelzen, der sich langsam auf die Zehenspitzen stellte. Wie auf Verabredung wedelten die Menschen plötzlich mit ihren gelb-roten Nationalfähnchen, auf denen sich der weiße Drachen vor Vorfreude schüttelte. Zwei Musikkorps marschierten unter Trommelwirbeln Seite an Seite ins Stadion, auch sie in die Landesfarben gekleidet. Die Musiker nahmen vor der Ehrentribüne Aufstellung und begannen zu spielen, während sich ein offener Jeep den Weg durch das Osttor bahnte. Ein ohrenbetäubender Jubel scholl dem König entgegen, der aufrecht neben dem Fahrer stand und recht angespannt wirkte, wie Cording fand. Er zupfte mehrmals die wollene, knallgelbe, nur dem Herrscher vorbehaltene Stola zurecht, die er sich um die Schulter geworfen hatte. Gelegentlich hielt er sich an der Windschutzscheibe fest, um nicht aus dem Gleichgewicht zu geraten.
    Der Jubel begleitete den Monarchen die Treppen hinauf, verstummte aber schlagartig, als er auf dem freien Platz inmitten seiner Ehrengäste Platz genommen hatte. Cording traute seinen Augen nicht, als er links neben dem König Maeva entdeckte. Sie trug den in der Taille geknoteten rot-gelben Pareo, den sie schon während ihrer Rede in Sydney getragen hatte. Wer war noch da oben? Prinzessin Kissan Mangwo natürlich, sie saß zur Rechten ihres Bruders. Rajani und Suu Kyi hatte man eine Reihe dahinter platziert. Der Mann in ihrer Mitte musste Bhutans Chefastrologe sein.
    Die Stille im Stadion war beeindruckend. Cording konnte nur hoffen, dass Steve bei seinen waghalsigen Drehmanövern nicht vom Dach fiel. Irgendwann mussten die Achttausender, die der meditierenden Versammlung im Stadion von Thimphu aus der Ferne zusahen, dem Druk Gyalpo ihr Einverständnis gegeben haben, jedenfalls erhob er sich und schritt zum Mikrofon.
    »Liebe Landsleute«, begann er mit fester Stimme, »in einer sich verändernden Welt stehen wir vor großen Herausforderungen, denn die Globalisierung kennt weder Frieden, Sicherheit noch Glück.«
    Cording schluckte. Er konnte sich nicht erinnern, jemals einen Politiker gehört zu haben, der das Problem derart schnell und schonungslos auf den Punkt gebracht hätte.
    »Aber genau diese drei Dinge sind die Hauptpfeiler unserer Philosophie der Nationalen Glückseligkeit«, fuhr der König fort. »Nach Jahrhunderten der Isolation haben wir uns vor einigen Jahrzehnten dazu entschieden, uns der Welt gegenüber zu öffnen. Das Ergebnis ist niederschmetternd. Deshalb verspreche ich euch, dass der Kontakt nach außen in Zukunft so gestaltet wird, dass der Frieden unserer Nation, ihr Glück und ihre Sicherheit wieder gewährleistet sind. Viele von uns haben die beeindruckende Rede der neuen URP-Generalsekretärin im Staatsfernsehen verfolgt, und ich bin glücklich und stolz, euch mitteilen zu können, dass sie heute unser Gast ist! Die Menschen von Bhutan heißen Sie aufs Herzlichste willkommen, Maeva!«
    Wer geglaubt hatte, dass der Jubel für König Singye Yangdon Wangchuck nicht mehr zu überbieten war, sah sich getäuscht. Maevas Anwesenheit löste im Stadion eine hysterische Kettenreaktion aus. Zu Tausenden drängten die Menschen in Richtung Ehrentribüne. Woanders hätte man der wogenden Menge unter dem Einsatz von Schlagstöcken Einhalt geboten, hier reichte die erhobene Hand des Königs, um ihm erneut Gehör zu verschaffen.
    »Bürger von Bhutan! Hiermit erkläre ich feierlich den Beitritt unseres Landes zu den URP! Ich bin sicher, dass wir in diesem Verbund unabhängiger Regionen unter der Führung Maevas wieder Frieden und Liebe in die Welt tragen werden!«
    An Tagen wie diesem schöpfte sogar Cording wieder Hoffnung. Wie jeder, der den Realitäten nicht mehr gewachsen war, neigte auch er gelegentlich zum Kitsch.
Bhutan, 17. April 2028
    Tahitis vier Parlamente haben sich einvernehmlich dafür ausgesprochen, Maeva als Präsidentin zu suspendieren, jedenfalls solange sie den URP als Generalsekretärin vorsteht. An ihrer Stelle ist nun Omai ins Amt zurückgekehrt. Die Information wurde per E -Mail übermittelt. Wie stilvoll! Es handelt sich um einen Putsch, da brauchen wir uns nichts vorzumachen.
    Wie kann Omai seiner Schwester das antun? Ich vermute, dass die Angelegenheit auf Rauuras Mist gewachsen ist.
    Bisher hatte ich nur kurz Gelegenheit, mit Maeva zu sprechen. Was heißt sprechen? Sie war stumm wie ein Fisch, als sie mir

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