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Das Südsee-Virus

Das Südsee-Virus

Titel: Das Südsee-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk C. Fleck
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Interviews beharrlich auf die enormen Gefahren hingewiesen hatte, die das aberwitzige Prestigeobjekt barg. Aber er hatte vielleicht als Einziger der weltweiten Kritiker den Mut gehabt, den Bruch des Dreischluchtendamms mit einem Atomschlag gleichzusetzen, bei dem jede erdenkliche Hilfe, zu der die internationale Gemeinschaft in der Lage war, lächerlich anmuten musste. Westerstede, damals noch Präsident des Deutschen Roten Kreuzes, hatte schon seine Stimme erhoben, als die Machthaber in Peking 1986 ein chinesisch-kanadisches Konsortium damit beauftragten, eine erste Machbarkeitsstudie zu erstellen, die übrigens von der Weltbank und der kanadischen Regierung finanziert wurde. Er hatte sich sogar mit Siemens angelegt, das damals ganz offen auf einen Milliardenauftrag spekulierte. Den hatte es ja auch bekommen. Mit Unterstützung der Bundesregierung, die dem Unternehmen als Bürge zur Seite stand. Die Generatoren, Transformatoren und Wasserturbinen am Dreischluchtendamm: alles saubere Arbeit, alles made in Germany.
    Cording mochte nicht glauben, wer bei der Entwicklung und Erstellung des Monsterwerks noch so alles seine Finger im Spiel gehabt hatte. Die ausländischen Investoren schienen ja regelrecht Schlange gestanden zu haben. An erster Stelle waren die kanadische Regierung und die Investmentbank Morgan Stanley zu nennen. Den Großteil der Kosten aber trug perverserweise das chinesische Volk, das jahrzehntelang mit einer Sondersteuer belegt worden war. Einhundertzwanzig Milliarden US-Dollar hatte das Bauwerk bis zu seiner endgültigen Fertigstellung im Jahr 2014 verschlungen.
    In China selbst hatte sich nur wenig erkennbarer Widerstand geregt. Die vier Millionen Menschen, die im Zuge der Baumaßnahmen zwangsweise umgesiedelt worden waren, damit ihre Dörfer und Städte in dem sechshundert Kilometer langen Stausee untergehen konnten, hatten keine Stimme mehr, nachdem die populäre Journalistin und Staudammgegnerin Dai Qing wegen unerlaubter Aufsässigkeit für zehn Monate ins Gefängnis geschickt worden war. Ihr Buch, das so vielen Betroffenen aus der Seele gesprochen hatte, wurde eingesammelt und verbrannt. So konnte der zwei Kilometer lange und einhundertneunzig Meter hohe Betonwall, der Chinas Halsschlagader, den Jangtsekiang, auf aberwitzige Weise in seinem Lauf behinderte, problemlos heranwachsen.
    Cording fiel ein Foto in die Hände, das Dr. Markus Westerstede an der Seite der geächteten Autorin zeigte. Er vertiefte sich erneut in die Geschichte dieser mutigen Frau, von der man im Westen so gut wie nichts wusste, obwohl sie die Einzige gewesen war, die vehement darauf aufmerksam gemacht hatte, dass ein Großteil der Entschädigungen, die den umgesiedelten Menschen versprochen worden waren, im Korruptionssumpf der Behörden versickerte. Bis zu einer Milliarde US-Dollar sollen im Zusammenhang mit dem Jangtseprojekt veruntreut worden sein. Cording musste an Shark denken und daran, was dieser in einem Anfall von Raserei in der letzten GO!-Show zum Besten gegeben hatte. »Warum rücken wir den verantwortlichen Herrschaften nicht auf die Pelle? Warum machen wir ihnen und den Politikern, die ihre Schweinereien begünstigen, nicht klar, dass sie Freiwild sind?« Wie zuvor schon Dai Qing hatte auch der couragierte Shark mit seinem Job bezahlen müssen. Soviel bekannt war, hielten sie den Mann in einer psychiatrischen Klinik in London gefangen.
    Feiglingen wie mir könnte das nicht passieren, dachte Cording und klappte die Ordner zu, in denen Westerstede die große Kungelei um den Dreischluchtendamm so akribisch dokumentiert hatte.
    »Was ist das für ein widerlicher Gestank?«, fragte Cording und hielt sich die Nase zu.
    »Leichengeruch«, antwortete Westerstede, »wenn wir tiefer gingen, würden Sie ohnmächtig aus der Kanzel fallen.«
    »Wollen Sie etwa andeuten, dass die vielen Feuer … ich meine, dass an den Feuern dort unten …?«
    »Ganz recht. Wir bestatten in Tag- und Nachtschichten. Vierzig Millionen Tote entsorgt man nicht von heute auf morgen.«
    Maevas Gesichtshaut zuckte wie unter einem Stromschlag. Aber konnte man Westerstede die zynischen Bemerkungen übel nehmen? Der Mann hatte seine Zelte in der Hölle aufgeschlagen.
    »Sehen Sie den rot-weißen Schornstein?«, fragte Westerstede. »Dieser Schornstein gehörte zum Kombinat Roter Schmetterling. Wenn Vögel in seine Rauchfahnen gerieten, fielen sie tot vom Himmel. Der Rote Schmetterling war auf die Gewinnung von Chromsalzen und

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