Das Südsee-Virus
Strontiumkarbonat spezialisiert. Chromsalze werden in Farben gemischt, damit die Außenhäute der Laptops ansehnlich glänzen. Strontiumkarbonat sorgt dafür, dass die Displays von Mobiltelefonen aufleuchten. An diesen Beispielen wird wieder einmal trefflich deutlich, dass der Mensch nichts ohne höheren Sinn unternimmt … Seltsam nur, dass der Schlot die reißende Flut überstanden hat. Als hätte es eines solchen Mahnmals noch bedurft.«
Sie flogen direkt auf die Stelle zu, an der das Erdbeben vor drei Jahren die gigantische Staumauer ausgehoben hatte. Das Bauwerk war von den entfesselten Naturgewalten innerhalb weniger Minuten zusammengefaltet und versenkt worden. Die am Ufer liegende Stadt Ziqui hatte sich in einen einzigen Steinhaufen verwandelt. Als unbedarfter Beobachter hätte man glauben können, es handelte sich dort unten um einen urzeitlichen archäologischen Fund – wären da nicht die Feuer gewesen, die zum Himmel stanken. Während Steve mit seiner Kamera auf der rückwärtigen Bank unruhig von einer Seite auf die andere rutschte, hielt Maeva die Augen geschlossen, ihre Lippen bewegten sich wie zum Gebet.
»Hier endete der Stausee«, hörte Cording Westerstede sagen. »Die Zentralregierung hat damals peinlich genau darauf geachtet, dass keinerlei Bilder von ihm an die Öffentlichkeit gelangten. Innerhalb kürzester Zeit nach Fertigstellung des Damms war der See auf voller Länge – und wir sprechen immerhin von sechshundert Kilometern – zu einem gigantischen Auffangbecken für Industrieabwässer verkommen. Die Region um Chongqing war das Zentrum der chinesischen Chemieindustrie. Früher haben die gewaltigen Wassermassen des Jangtse den hier anfallenden Dreck effektiv verdünnt. Damit war plötzlich Schluss. Das Wasser im Stausee floss nur noch mit einer Geschwindigkeit von einem Zentimeter pro Sekunde, während es vor dem Dammbau noch fünf Meter pro Sekunde waren. Die Selbstreinigung des Flusses war nun außer Kraft gesetzt. Mit katastrophalen Folgen. Hundert Millionen Kubikmeter hochgiftige Brühe sammelten sich dort unten pro Jahr an. Außerdem spülte der Regen Unmengen von Chemiedünger von den Feldern in die gefluteten Schluchten. Aber damit nicht genug: Da nur die wenigsten der dreißig Millionen Haushalte im unmittelbaren Einzugsgebiet an Kläranlagen angeschlossen waren, saugte sich der See auch noch mit Fäkalien und Waschmitteln voll. Damit war die flächendeckende Verseuchung mit Stickstoff, Kolibakterien und Phosphor gesichert. Wissen Sie, wie die Menschen in der Region den Dreischluchtensee genannt haben? Silbersee! Klingt romantisch, nicht wahr? Und in der Tat gab es Tage, ja Wochen, in denen der See silbern in der Sonne funkelte, als berge er einen kostbaren Schatz. Dieses Naturwunder war den krepierten Fischen zu verdanken, die das verschmutzte Wasser unter einer dichten Schuppenschicht verbargen.«
Maeva hatte ihre Hand in Cordings Oberarm gekrallt, und bei jeder weiteren Information, die ihnen Westerstede verabreichte, wurde ihr Griff stärker.
»Tut mir leid«, sagte Westerstede, der Maevas Verzweiflung durchaus bemerkt hatte, »ich kann Ihnen diesen Irrsinn nicht ersparen. Allzu viele Besucher haben wir ja nicht, denen wir davon berichten können. Die Chinesen lassen schon lange keine Journalisten mehr ins Land.« Er wies den Piloten an, stromaufwärts zu fliegen, in die Phönixbucht. »Silbersee …«, murmelte er kopfschüttelnd. »Grüner See wäre auch passend gewesen. Im Frühling und Sommer leuchtete das Wasser dort unten nämlich giftig grün, fast phosphorfarben. Es war die Zeit der Algenblüte. Die Algen bereiteten den Behörden mehr Kummer als der übrige Dreck, sie drohten nämlich die Turbinen im Kraftwerk zu verstopfen. Dass beim Absterben der Algen ein Gift freigesetzt wurde, das bei den Menschen der Region Leberkrebs auslöste, störte die Herrschaften weniger. Eher schon die gewaltigen Müllberge, die sich vor dem Damm türmten und die ebenfalls eine Gefahr für die Turbineneinlässe darstellten. Um einer Verstopfung vorzubeugen, beschäftigte die Regierung Hunderte arbeitslos gewordener Fischer, die ihre Netze nun nach Plastikschlappen, Dosen, Styroporbehältern, Alufolien und Ästen auswarfen. Der Fang wurde nach Gewicht bezahlt. Etwa drei Tonnen sammelte jeder Fischer pro Tag ein.«
Vor ihnen lagen die Schluchten Qutang, Wuxia und Xiling, die als Chinas Märchenkulisse galten und denen die Flutung und später das Beben enorm zugesetzt hatten. »Die
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