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Das Südsee-Virus

Das Südsee-Virus

Titel: Das Südsee-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk C. Fleck
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veranstalteten, abwechselnd verdunkelt oder erhellt wurden. Der mit Schmelzwassertümpeln durchsetzte grüngelbe Grasboden blitzte im gleichen Rhythmus auf, als bediene jemand eine Lichtorgel.
    Cording prüfte noch einmal den Sitz seiner Nasenschläuche, durch die er noch mindestens acht Stunden würde atmen müssen, denn neunzig Prozent der Trasse befanden sich in über viertausend Meter Höhe. Er erinnerte sich an die Worte des Gepäckträgers, der ihn im Bahnhof von Lhasa vor der Fahrt gewarnt hatte. »Ihr werdet das Gefühl haben, dass eure Köpfe anschwellen wie Fußbälle«, hatte er gesagt und dabei den Takt geklatscht, mit dem das Gehirn beim Höhenkoller an die Schädeldecke knallt.
    Die sechsunddreißigstündige Bahnfahrt von Lhasa nach Chongqing steckte Cording noch in den Knochen, als ihn das Telefon aus dem Schlaf riss. Sieben Uhr. Er mühte sich auf die Bettkante, um nicht gleich wieder einzuschlafen. Nach einigen Minuten schlich er unter die Dusche, die er aber kurz darauf mit einem gewaltigen Satz verließ. Warum hatte man ihm nicht gesagt, dass es kein warmes Wasser gab? Und warum war das Wasser nicht kalt, sondern eisig? Er zog sich an und ließ die Jalousien herab, nicht ohne jedoch noch einen Blick auf die Senfsoße zu riskieren, die vierzehn Stockwerke tiefer unter dem Namen Jangtse träge vor sich hin floss. Die geballte Ansammlung von Hochhäusern auf der gegenüberliegenden Halbinsel zwischen dem Zusammenfluss von Jangtse und Jialing, die als eigentliches Zentrum Chongqings galt, bemerkte er ebenfalls zum ersten Mal. Sie waren erst spät in der Nacht eingetroffen, aber nachts leuchtete die Millionenmetropole im Herzen Chinas schon lange nicht mehr. Seit der Jahrtausendkatastrophe rund um den Dreischluchtendamm mangelte es ihr an der entsprechenden Energie dafür.
    Die Fahrstühle im »Holiday Inn« funktionierten noch. Als er in die Lobby trat, winkte ihn Maeva aufgeräumt zu sich. Sie stellte ihm Dr. Markus Westerstede vor, den Präsidenten des Internationalen Roten Kreuzes, der sich höchstpersönlich herbemüht hatte, um sie zur Universität Shapingba zu geleiten, die ihren Lehrbetrieb vor drei Jahren eingestellt hatte und den zahlreichen Hilfsorganisationen seitdem als Hauptquartier zur Verfügung stand.
    »Dr. Westerstede ist ein Landsmann von dir«, sagte Maeva, als würde sie ihm damit eine Freude machen.
    »Woher kommen Sie?«, fragte Cording.
    »Aus München. Und Sie?«
    »Hamburg.«
    »A Preiß«, antwortete Westerstede grinsend, »a g’scherter Bazi! Willkommen in der Hölle …« Er schüttelte Cordings Hand ausdauernd und fest, als wollte er sie gar nicht mehr hergeben. Dass er sich zur Auflockerung der Atmosphäre dieses uralten, in Deutschland liebevoll gepflegten Ammenmärchens von der tief sitzenden Antipathie zwischen Bayern und Preußen bediente, deutete nur darauf hin, wie wenig der beklagenswerte Mann hier zu lachen hatte.
    Nachdem nun auch Steve eingetrudelt war, machten sie sich in einem Lkw des Roten Kreuzes auf den Weg. Auf der achtspurigen, kaum befahrenen Yangtze River Bridge reichte Westerstede ihnen ein Set weißer Atemmasken, wie sie in Chongqing jeder tragen musste, der sich auf die Straße traute.
    »Sie werden im Gebäude der Meishi Film Academy wohnen«, sagte Westerstede, »es befindet sich in unmittelbarer Nähe des Campus A. Um Ihr Gepäck machen Sie sich keine Sorgen, wir lassen es noch heute abholen.«
    »Stimmt es, dass niemand außer den Mitarbeitern der Hilfsorganisationen das Katastrophengebiet betreten darf?«, fragte Cording,
    »Ja, das stimmt. Die sechshundert Kilometer zwischen Chongqing und Yichang sind Sperrbezirk. Das geht noch auf eine Verfügung der Zentralregierung in Peking zurück, die sich ihrer Verantwortung aber längst entzogen hat.«
    »Wie das?!«
    »Nun ja, nachdem klar war, dass sich die Provinz Hubei auf lange Sicht in eine Todeszone verwandeln würde, waren die Herren vom Politbüro auf die Idee gekommen, dem jahrzehntelangen Bestreben der Region nach Unabhängigkeit endlich nachzukommen. Verstehen Sie? Hubei ist seit zwei Jahren autonom, es darf seinen Tod jetzt selbst verwalten.«
    »Was ist mit den Milizen, was mit der Armee?«
    Westerstede schnippte mit den Fingern: »Abgehauen, einfach so, von einem Tag auf den anderen. Die NATO bietet seit drei Jahren vergeblich Hilfe an, erhält aber keine Überflugerlaubnis. So läuft das in China …«
    Sie verließen den auf Stelzen gebauten Riverside Motorway entlang des Jialing und

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