Das Südsee-Virus
unserer Verantwortung für die Erde, dann müssen wir jetzt handeln. Und genau das haben wir uns in Lissabon vorgenommen.« Dowie massierte seine Nasenwurzel. »Ich bin Generalsekretär Sigurvinson für seine Unterstützung äußerst dankbar«, sagte er und griff nach dem weggeworfenen Kugelschreiber, »zeigt es doch, dass die UNO die Zeichen der Zeit erkannt hat. Auch die ISA sollte sich dem nicht verschließen, Señor Sabato, zumal unsere Abbaumethoden für die Umwelt bei Weitem nicht mehr jene Risiken bergen wie noch vor einigen Jahren.«
José Ernesto Sabato schüttelte kaum merklich den Kopf. Er schien gar nicht damit aufhören zu wollen. »Wie es aussieht«, sagte er schließlich, »kämpfe ich wohl auf verlorenem Posten. Nehmen Sie also zur Kenntnis, dass ich mein Amt mit dem heutigen Tag zur Verfügung stelle …«
Die Oasenstadt Douz im Südosten des Salzsees Chott el Djerid war in den letzten zehn Jahren von einem verschlafenen Wüstenflecken zu einer prosperierenden Kommune mit fünfzigtausend Einwohnern mutiert. In Douz, dem tunesischen »Tor zur Sahara«, hatten die beteiligten Firmen des Desertec-Konsortiums Quartier bezogen. Über vierzig Schwergewichte der europäischen Wirtschaft glänzten mit ihren Verwaltungsgebäuden vor Ort und dokumentierten eindrucksvoll ihren Anspruch auf die erhofften Milliardengewinne, die das größte von Menschen jemals in Angriff genommene Zukunftsprojekt nach eigener Rechnung dauerhaft abzuwerfen versprach, sobald sich die Investitionskosten von etwa siebenhundert Milliarden Euro amortisiert hatten. 2050, also in etwas mehr als zwanzig Jahren, sollte die Sahara von Marokko bis zum Jemen mit Solarthermie-Kraftwerken bestückt sein, um den alten Kontinent aus der Abhängigkeit von Atom, Erdgas und Kohle zu befreien.
Die Euphorie in den Vorstandsetagen der neuen Glaspaläste, die den Ortskern von Douz wie mächtige Eroberer umstanden, war grenzenlos. Bis vor sieben Tagen. Seit einer Woche flackerte in dem modernisierten Wüstenkaff nachts wieder Kerzenlicht, brannten offene Feuer auf den Plätzen. Die Bewohner tanzten und sangen in den Straßen, als feierten sie das Wunder der geschenkten Rückbesinnung. Selten, eigentlich noch nie, nicht einmal auf Tahiti, hatte Cording unter Menschen so viel kindliche Freude und Liebe empfunden wie hier in Douz nach dem Stromausfall.
Robert van de Laar war ein freundlicher Mensch. Der niederländische Geschäftsführer des Desertec-Konsortiums DII, unter dessen Dach sich vierundzwanzig europäische Unternehmen aus der Energie-, Solar- und Finanzbranche zusammengefunden hatten, ließ es sich nicht nehmen, Maevas kleine Delegation persönlich zu begleiten. Die DII GmbH war 2009 in München gegründet worden, um das Saharaprojekt voranzutreiben. Von deutscher Seite unter anderem dabei: Siemens, E.ON, RWE, die Münchner Rück und die Deutsche Bank, die die Finanzierung mithilfe anderer Investoren organisierte.
Der Weg in die Wüstewar beschwerlicher, als Cording vermutet hatte. Bereits dreißig Kilometer hinter Douz verlief die Straße, auf der sie zu dem Solarpark gelangen sollten, buchstäblich im Sande. Aber van de Laar hatte vorgesorgt. Ein offenes Kettenfahrzeug wartete auf sie.
»Was passiert jetzt mit Desertec?«, fragte Cording den Holländer.
»Na ja, wir hoffen, dass die in Bau befindlichen Parks in Marokko, Algerien und Libyen demnächst in Betrieb gehen können«, antwortete van de Laar. »Unsere Ingenieure untersuchen gerade die Wirksamkeit verschiedener Schutzwälle. Nach Expertenmeinung wird sich ein solcher Sandsturm die nächsten hundert Jahre aber nicht wiederholen.«
»Und falls doch?«
»Dann müssen wir gewappnet sein«, sagte van de Laar und zeigte sein erprobtes Lächeln.
Cording merkte, dass mit dem Mann kein vernünftiges Gespräch möglich war. Wie auch? Van de Laar war dem Konsortium verpflichtet, in seiner Position äußerte man keine Zweifel, selbst dann nicht, wenn man gerade hundert Milliarden Euro in den Sand gesetzt hatte. Der Irrsinn solcher Großprojekte bestand darin, dass man sie nicht mehr hinterfragen durfte, sobald erst einmal genügend Geld investiert worden war. Um dieses Projekt umzusetzen, war man beispielsweise gezwungen gewesen, höchst brisante Partnerschaften einzugehen: Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen, Ägypten, Israel, Palästina, Sudan, Jordanien, Jemen – der Weltfrieden war in diesen Ländern sicher nicht zu Hause, das stand fest. Wie konnte es Europa riskieren, seine
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