Das Südsee-Virus
informiert? Was wussten sie von Maeva? Fünfundsiebzig Prozent von ihnen sind Analphabeten und Satellitenschüsseln waren auf den Flachdächern der Lehmbauten nicht zu sehen …
Wir sind zu Gast im Hause des Marabouts Toumani, des mächtigsten der islamischen Heiligen. Morgen kommt es in Djenné zum Fest des Jahres: Morgen ist der Tag, an dem die von der Regenzeit in Mitleidenschaft gezogene Außenhaut der Großen Moschee neu verputzt wird. Traditionsgemäß nimmt die ganze Stadt daran teil. Kurz vor Sonnenaufgang geht es los. Fünf Stunden später, bevor die aufsteigende Sonne den Lehm austrocknen kann, wird die Arbeit wieder eingestellt. Maeva zu Ehren hat man das Spektakel extra um eine Woche nach hinten verschoben. Es muss ein überwältigendes Erlebnis sein, denn den Bewohnern von Djenné sprüht die Vorfreude förmlich aus den Augen …
Kaum dass sich die Flachdächer Djennés in der türkisfarbenen Dämmerung zu einem erkennbaren Ensemble fügten, ging ein tausendstimmiger Aufschrei durch die engen, im Dunkel belassenen Gassen der Stadt. Aus allen Himmelsrichtungen strömten die Menschen auf den großen Marktplatz vor der Moschee, wo sie Bastschalen in Empfang nahmen oder auf bereitgestellte Eselskarren sprangen, um sich in den endlosen Treck einzureihen, der von hier aus zu den Ufern des Bani aufgebrochen war. Während der Zug der Nachrückenden nicht versiegen wollte, kehrten die ersten Läufer lärmend und lachend zurück, um ihre Lehmfracht inmitten des Platzes auf einem schnell anwachsenden Haufen abzuladen. Eine Riege muskulöser junger Männer stapfte barfüßig durch den Matsch und reicherte ihn mit Reiskleie und Kuhmist an. Kinder zerrten an Schläuchen und wässerten die klebrige Masse, um sie geschmeidig zu halten.
Als die Sonne die Moschee glutrot zu färben begann, stiegen die Maurer in die Steilwände des imposanten Gebäudes. Spielend leicht hangelten sie sich auf den in die Mauern eingebrachten Palmstämmen in schwindelerregende Höhen, um unter den Minaretten und Kuppeln Position zu beziehen. Die hervorstehenden Hölzer dienten nicht nur als Baugerüst, sie sorgten auch dafür, dass sich aufgrund der Temperaturschwankungen keine Risse im Mauerwerk bildeten. Der Banko, wie der traditionelle Baustoff hieß, wurde in Eimern über wackelige Holzleitern in die Wand verbracht, wo die auf den Stämmen jonglierenden Hilfsarbeiter ihn staffelweise nach oben reichten.
Maeva saß zwischen dem Marabout und dem Bürgermeister in der ersten Reihe einer provisorischen Holztribüne, die auf dem großen Marktplatz errichtet worden war. Cording hatte man einige Reihen weiter oben platziert. Er war umgeben von den wichtigsten Persönlichkeiten des Ortes. Die Vertreter des Adels waren ebenso anwesend wie die Vorsitzenden der Maurergilden, die in der Stadt großes Ansehen genossen. In Djenné durfte ausschließlich Lehm als Baustoff verwendet werden, ob als Verputz oder als luftgetrocknete Ziegel. Niemand käme hier auf die Idee, ein Haus aus Beton zu bauen. Die rund hundert Meisterbauer der Stadt achteten streng darauf, dass die alten Traditionen erhalten blieben. Jedes architektonische Detail war ihnen wichtig.
Neben dem Adel und den Maurergilden hatten die Stämme der Region ihre bunt geschmückten Abordnungen geschickt. Von den Bambara über die Fulbe, die Bozo, Tuareg, Songhai bis zu den Kunta waren alle Ethnien vertreten. Die Moschee war die Seele des Ortes, die Arbeit an ihr wurde als Gemeinschaftswerk verstanden. Mit Ausnahme Maevas saßen allerdings ausschließlich Männer auf der Ehrentribüne. Sie waren in ihre Grands Boubous gekleidet. Die kostbare, bis zum Boden reichende Robe galt als Statussymbol, ihr Wert bemaß sich an der Zahl der kunstvoll gestickten Schutzzeichen, die dem Träger Würde und Ansehen verliehen.
Cording, dem schon schwindelig wurde, wenn er auf einen Stuhl stieg, vermochte dem virtuosen Treiben in der Wand nur mit äußerst gemischten Gefühlen zuzusehen. Es brauchte eine Menge Gottvertrauen, um sich einer solchen Arbeit zu stellen. Sein Nachbar, dem die Nervosität des fremden Gastes nicht verborgen geblieben war, versuchte ihn zu beruhigen. Es sei völlig überflüssig, sich um die Männer Sorgen zu machen, meinte er, sie seien schließlich durch ihre Gris-Gris geschützt. Ein Gris-Gris, fügte er mit ruhiger Stimme an, sei ein magisches Amulett, das seinen Träger nicht nur zuverlässig gegen Unfälle absicherte, sondern auch vor Diebstahl, Krankheit, Neid, Eifersucht
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