Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Südsee-Virus

Das Südsee-Virus

Titel: Das Südsee-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk C. Fleck
Vom Netzwerk:
Salar de Uyuni war ein flacher, einstöckiger Gebäudekomplex, vollständig aus Salzblöcken gebaut. Das gesamte Mobiliar war aus Salz: Tische, Stühle, Regale, der Frühstückstresen, ja selbst die Betten. In die konvexen, mit Oberlicht versehenen Decken der siebenundzwanzig Doppelzimmer waren Stützbalken eingelassen, und in die Stirnwände hatten lokale Künstler prächtig ausladende Reliefs mit exotischen Tiermotiven ins Salz gemeißelt. Wüstenfüchse vor Kakteen, Rad schlagende Pfauen, auf Gipfeln balancierende Gämsen, pirschende Pumas und grazile, auf die Schlafenden herabsehende Flamingos – allesamt Archetypen der Aymara-Astrologie. An den Wänden des kleinen, an eine Puppenstube erinnernden Raums, den Maeva und Cording bewohnten, stoben Dutzende von Vögeln auf. Die Regierung in La Paz hatte das Hotel für drei Tage angemietet, damit die Gespräche mit der URP-Vorsitzenden ungestört verlaufen konnten.
    Cording sortierte seine Sachen in den Schrank und machte sich auf den Weg in das runde Restaurant im Zentrum der Anlage, wo Maevas Begleitmannschaft zum gemeinsamen Abendessen verabredet war. Er hatte Mühe, den richtigen Weg zu finden, aber die Wanderung durch das Salzlabyrinth war aufregend. Schließlich gelangte er in einen Kuppelraum, in dem zwei Bänke zur Rast einluden. Auf einer der Bänke saß Shark, der sich zuvor ebenfalls orientierungslos im Kreis gedreht hatte. Gemeinsam rätselten sie, welcher der drei Gänge, die hier mündeten, wohl der Richtige sei. Besondere Eile hatten sie nicht. Es erging ihnen wie allen, die dieses Refugium betraten: Sie fühlten sich in eine Märchenwelt versetzt, glitzernd und mysteriös.
    »Ich hab ne richtige Suite abgekriegt«, sagte Shark. »Sind bei euch auch so viele Blumen auf dem Zimmer?«
    Blumen? Nein. Cording schüttelte den Kopf.
    Rudolf und Maeva kamen vorbei und nahmen sie ins Schlepptau. Der tahitianische Krieger hatte natürlich keine Orientierungsschwierigkeiten, er ging einfach dem Lachen nach, das sich aus der Resto-Bar in alle Winkel verstreute, und führte sie sicher ans Ziel.
    Das Essen verlief in einer lockeren, fröhlichen Atmosphäre. Als Vorspeise hatten sie die Locro, eine Reissuppe mit geschnetzelten Hühnchen und Bananen. Anschließend wurden Fleisch- und Gemüsepasteten serviert. Zum Schluss gab es die Nationalspeise Pacamutu, ein Reisgericht mit gegrilltem Rindfleisch, frittierter Yuca und Käse. Eigentlich hätte Cording gewarnt sein müssen. Sie befanden sich in dreitausendsiebenhundert Meter Höhe, und ähnlich wie in Bhutan und Tibet hatte sich auch die bolivianische Küche den Erfordernissen im Hochgebirge angepasst. Sie war reich an Kohlehydraten und extrem scharf gewürzt. Er hätte zumindest probieren sollen, bevor er zu der Flasche griff, die zum Nachwürzen auf dem Tisch stand. Hatte er nicht. Und so sprang er nach dem ersten Bissen wie von der Tarantel gestochen auf und kurvte nach Luft schnappend kreuz und quer durch den Raum. Die Nummer war bemerkenswert. Selbst das Küchenpersonal konnte vor Lachen kaum an sich halten, als der merkwürdige Gast die Tür aufriss und in die Kälte stürmte, um seinen brennenden Atem zu vereisen.
    Okay, dachte er, als er schließlich tränenden Auges zurückkehrte, jetzt bist du die Lachnummer des Abends. Als solche musste man sich einiges gefallen lassen. Seinen Teller schob er beiseite, bediente sich stattdessen an den warmen, luftgetrockneten Chuños, die sich – gut gekaut – wie Samt auf die immer noch gereizte Speiseröhre legten. Dass ihm jedes Mal einer mit der Würzsauce zuprostete, sobald er diese köstlichen Kartoffeln in den Mund nahm, fand er nur bedingt lustig, aber so waren die Jungs: gnadenlos. Maeva amüsierte sich ebenfalls, sie lachte sogar am lautesten, wenn die Gelegenheit gekommen war. Offenbar traute man ihm eine Menge Galgenhumor zu, aber der große Quetzalcoatl war Zeuge, dass dem nicht so war. Der große Quetzalcoatl riet ihm auch zum Mate de Coca, als die Getränke gefragt waren … Der Tee verfehlte seine anregende Wirkung nicht.
    »Gehen wir ein wenig spazieren?«, fragte Cording Maeva. »Ich brauch das jetzt. Coca-Tee und Vollmond, das ist einfach zu viel der guten Energie  …«
    Maeva war einverstanden und ging ihm voraus. Vor ihnen lag ein silbern glänzender, kristalliner Ozean, steinhart gefroren und eingefasst von den Bergen und Vulkanen der Anden, die sich scharfkantig gegen den Sternenhimmel abzeichneten. Das Knirschen unter ihren Füßen war das

Weitere Kostenlose Bücher