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Das Südsee-Virus

Das Südsee-Virus

Titel: Das Südsee-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk C. Fleck
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natürlichen Ressourcen beteiligt und vorher angehört werden. Aber passiert das so?«, fragte er, um sich gleich darauf selbst zu antworten. »Nein! Natürlich nicht! Wieder wird über unsere Köpfe hinweg entschieden! Einen solchen Verfassungsbruch können und wollen wir nicht dulden!«
    Wieder nickten dreihundert Köpfe im Takt, getragen von diesem kräftigen Gemurmel, das an die Geräusche in einem Bienenstock erinnerte.
    Der dritte Sprecher zitierte einen anderen Punkt aus der Verfassung. Punkt 10. Dieser sprach den Menschen Boliviens das Recht zu, in einer sauberen Umwelt zu leben. »Der ökologische Aspekt wird in der Debatte bisher ja völlig ausgeklammert!«, empörte er sich. »Unsere Regierung will uns weismachen, dass es sich bei dem Lithium um eine saubere Energiequelle handelt, die auch sauber abzubauen ist. Aber bislang ist völlig unklar, was der massenhafte Abbau anrichten kann. Wir brauchen doch nur nach Argentinien und Chile zu schauen. Dort wird ebenfalls Lithium abgebaut, wenn auch in sehr viel geringeren Mengen, als es bei uns geplant ist. Trotzdem leiden die Menschen in der direkten Umgebung an Atembeschwerden, Augen- und Hautreizungen. Davon erzählt uns natürlich keiner etwas! Nein, Leute, unsere Regierung ist nicht nur dabei, mit dem größten Salzsee der Welt ein einzigartiges Naturerbe zu zerstören, sie will uns auch die Existenzgrundlage rauben! Die Touristen, von denen wir leben, werden sich die Industriekloake, in die man unseren See verwandeln will, sicher nicht mehr anschauen wollen.«
    Cording war nicht sonderlich überrascht, dass diese kämpferische, auf den Naturschutz bezogene Rede viel weniger Zustimmung fand als alle vorangegangenen und folgenden Appelle, die darauf abzielten, die indigene Bevölkerung, vor allem die Lamazüchter und Bauern am Rande des Sees, an dem zu erwartenden Milliardengeschäft angemessen zu beteiligen. Die dreihundert im Rathaus von Uyuni versammelten Frauen und Männer vertraten sechzigtausend Menschen in dreihundert Gemeinden, die nichts weniger als eine hundertprozentige Kontrolle über das Konsortium verlangten, das die staatliche Bergbaugesellschaft COMIBOL nach Jahren des Zögerns mit dem französischen Unternehmen Bolloré, den japanischen Konzernen Sumitomo und Mitsubishi sowie dem koreanischen Bergbauunternehmen Kores vor einem Monat gegründet hatte.
    Mit dieser durch die Verfassung abgesicherten Forderung brachten sie die bolivianische Regierung, die sich bis vor Kurzem noch standhaft geweigert hatte, Exklusivrechte an ausländische Unternehmen zu vergeben, gehörig in Bedrängnis. Cording fand es bemerkenswert, wie lange und entschieden die Regierung in La Paz dem Drängen und Werben multinationaler Konzerne widerstanden hatte. Bedeutende Unternehmen aus Russland, Indien, Deutschland und den USA standen seit Jahren für eine Förderlizenz Schlange. Die moderne Industriegesellschaft lechzte nach dem Stoff. Ihr Überleben hing davon ab. Lithium wurde in der Medizin, in Fusionsreaktoren, in der Luft- und Raumfahrttechnik sowie in der elektronischen Kommunikationsbranche (Computer, Mobiltelefone) benötigt. Die sukzessive Umstellung der weltweiten Autoflotte auf Hybrid- oder Elektroantrieb aber hat die Nachfrage explodieren lassen. Ohne die bolivianischen Reserven war der Bedarf an Lithiumbatterien und Ionenakkus bald nicht mehr zu decken. Das Gejammer der Autokonzerne war für Cording nicht nachzuvollziehen. Es gab Alternativen. Algen- und Zuckerbatterien waren längst serienreif. Geschätzte sieben Millionen Tonnen des begehrten Leichtmetalls glaubte man aus dem Salar de Uyuni gewinnen zu können, das waren achtzig Prozent der Weltvorräte. Bolivien könnte sich schlagartig aus der Armut befreien.
    Welch eine Versuchung, dachte Cording, und welch eine Leistung, ihr so lange widerstanden zu haben. Soviel ihm bekannt war, fuhr die Regierung in La Paz noch immer einen gemäßigten Kurs. »Partner, nicht Herren!« – so lautete das Regierungsmotto für die Zusammenarbeit mit ausländischen Unternehmen. Der Energieminister, den Maeva morgen in dem Salzhotel auf dem Salar treffen würde, hatte zum Unmut der europäischen und amerikanischen Autoindustrie gerade bekräftigt, dass Bolivien lediglich eine Produktion von eintausend Tonnen pro Monat anstrebe. Damit wäre man auf dem Salar dann die nächsten einhundertfünfzig Jahre beschäftigt. Die Umwelt bliebe einigermaßen intakt, und die Lebensqualität der Menschen würde sich langsam, aber

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