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Das Südsee-Virus

Das Südsee-Virus

Titel: Das Südsee-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk C. Fleck
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Sharks Tod ist Maeva verschlossen wie nie zuvor. Zurzeit ist es zwecklos, sie anzusprechen. Von Teamwork kann seit dem Ereignis auf dem Salar de Uyuni nicht mehr die Rede sein. Obwohl ich mich bereit erklärt habe, Sharks Aufgaben zu übernehmen (Recherche, Reiseplanung, Redaktion), wurde der Besuch auf Kuba innerhalb der Gruppe nicht diskutiert. Selbst Rudolf zeigte sich von Maevas selbstherrlicher Art überrascht. Er durfte sie nicht einmal auf den Pico Turquino in die nahe gelegene Sierra Maestra begleiten, wo sie sich seit zwei Tagen mit Kubas Präsidentin Ana Mariana Sánchez de Varona zurückgezogen hat. Die weibliche Leibgarde der Präsidentin reiche zu ihrem Schutz aus, beschied sie ihm.
    Kubas Präsidentin scheint eine bemerkenswerte Frau zu sein. Bereits mit siebzehn Jahren war sie von ihrem Wahlbezirk ins Bezirksparlament delegiert worden. 2003 zog sie als jüngste Abgeordnete ins Nationalparlament ein, wo sie sich als engagierte Kämpferin für eine nachhaltige Landwirtschaft profilierte. Mit der gleichen Leidenschaft setzte sie sich später für eine dezentrale Energieversorgung Kubas mit erneuerbaren Energien ein. Ihre größte Sorge aber galt dem inneren Zustand der Inselgesellschaft, der wachsenden Kluft zwischen Regierung und Bevölkerung. Sie spürte die Verhärtung zwischen ihren Landsleuten und wurde nicht müde, die Aggressionen zu geißeln, die sie auf beiden Seiten zu beobachten glaubte. Internationale Beachtung fand Ana Mariana Sánchez de Varona, als sie kurz vor Castros Tod in einem Interview mit der »Washington Post« ihrer Überzeugung Ausdruck gab, dass an diesem sensiblen Punkt der Geschichte allein die kubanischen Frauen das Weiterbestehen eines unabhängigen Kubas garantieren könnten. Als sie 2018 zur Präsidentin gewählt wurde, war sie längst selbst Mutter zweier Töchter geworden. Die Menschen vertrauten ihr. Und offensichtlich tun sie es noch immer.
    Jetzt stecken wir erst einmal in Santiago de Cuba fest, Steve, die Krieger und ich. Abgehängt, ohne Auftrag und ohne Ziel. Wenn wir nachts durch die Altstadt schlendern, wo sich die leidenschaftlichen Schreie der Liebenden mit dem Verkehrslärm mischen, wenn wir zwischen narbenübersäten Mauern wandern, wenn Menschennester sich auftun in den Hinterhöfen, wenn die Zärtlichkeit zu spüren ist, die aus den aufgeheizten Häusern quillt, wenn wir umgeben sind von Salsamusik und afrokaribischer Virilität, von kreolischem Spott und verletzenden Kraftausdrücken, dann lässt es sich aushalten, dann ist sie zu spüren, die jahrhundertealte Melancholie der geschlagenen Indios und der aus ihrem Land gerissenen Schwarzen. Dann gehen wir durch die Latinoschule, die alles andere als ein Mythos ist …
    Ana Mariana Sánchez de Varona war von derber Schönheit. Ihr festes schwarzes Haar fiel ungebändigt über die Schultern und umschloss ein etwas zu breit geratenes Gesicht mit weit auseinander stehenden Augen, einer kurzen kräftigen Nase und einem vollen Mund, dessen Winkel sich leicht, fast spöttisch nach unten neigten. Die wuchtigen Ohrringe, die mehrfach um den Hals geschlungene Holzkette, das weit geöffnete Khakihemd über dem schwarzen T-Shirt – all das zeugte von Stilempfinden, Selbstbewusstsein und Energie. Die achtundvierzigjährige Diplom-Ökonomin wusste um Maevas Zustand, entsprechend behutsam benahm sie sich ihr gegenüber. Sie stellte keine Fragen, vertraute darauf, dass die Weite der Sierra Maestra, die Stille und der würzige Duft der Kiefernwälder auf dem Pico Turquino schon das Ihre tun würden, um eine verwundete Seele zu heilen.
    Seit drei Tagen war Maeva nun in der historischen Sommerresidenz der Präsidentin zu Gast. Die Comandancia de la Plata hatte dem Rebellenführer Fidel Castro einst als Generalkommando gedient. Für den Besuch war eine Sondererlaubnis der Parkaufsicht in der Villa Santo Domingo nötig. Aber die Kubaner pilgerten gerne her. Der Weg dorthin war beschwerlich, er konnte nur zu Fuß erfolgen und führte durch dichte, neblige Wälder. Hauptattraktion war der Raum, von dem aus Che Guevara einst seine Radioansprachen an das kubanische Volk gehalten hatte.
    Etwa hundert Meter oberhalb der Behausung befand sich eine Lichtung, auf die es die beiden Frauen jeden Morgen zog. Diesmal machten sie sich ohne Leibwächterinnen auf den Weg, was beide als angenehm empfanden. Kubas Präsidentin war nicht verborgen geblieben, dass Maeva allmählich Vertrauen zu ihr fasste. Also hielt sie die Zeit für gekommen,

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