Das Sühneopfer: Historischer Kriminalroman (Schwester Fidelma ermittelt) (German Edition)
werden, ging es Fidelma flüchtig durch den Kopf. Gleichmütig sahen die Schafe den drei Reiternnach, die langsam bergan trotteten, vorbei an Farnstauden und Ginstergesträuch. Im Frühling würde der Ginster in leuchtendem Gelb erstrahlen.
Fidelma beschloss, beim ersten Gehöft auf der Höhe anzuhalten und sich zu erkundigen. Man konnte es ein rath nennen, denn es war von einem Erdwall und einer Holzumzäunung umgeben. Eine Frau mittleren Alters saß vor dem Hauptgebäude und rupfte ein Huhn. Erschrocken sprang sie auf, denn sie hatte nicht bemerkt, dass Fremde sich näherten. Den halbgerupften Vogel legte sie auf die Holzbank neben sich. Argwöhnisch schätzte sie die Kleidung der Reiter ab, die an der Einfahrt hielten, erst dann streiften ihre Blicke die Gesichter.
Fidelmas Begrüßung erwiderte sie nicht, sondern fuhr sie unfreundlich an: »Was suchst du hier?«
»Ich hätte gern gewusst, wo früher das Gehöft von Menma gestanden hat«, rief Fidelma der gereizten Frau vom Pferd herab zu.
»Ausgerechnet Menmas rath ?« Sie kniff die Augen zusammen. »Der ist lange tot, und sein rath ist bloß noch ein Haufen Brennholz.«
»Das wissen wir. Wo entlang müssen wir reiten, um dorthin zu kommen?«
Die Frau wies auf den Pfad in Richtung Westen. »Bleibt auf dem Weg, dann stoßt ihr genau darauf. Aber ihr könnt es genauso gut lassen. Menma ist tot, habe ich ja schon gesagt. Sie wurden alle ermordet, das ist Jahre her.«
»Hat niemand überlebt?«
Wieder zog die Frau misstrauisch die Brauen zusammen. »Warum fragst du danach?«
»Sollte es einen Überlebenden geben, hätte ich gern mit ihm gesprochen. Ich bin eine dálaigh .«
Die Frau blinzelte. »Eine Anwältin? Hierher hat sich noch nie ein Anwalt verirrt.« Ihr Grunzen sollte wohl ein höhnisches Auflachen sein. »Überhaupt seid ihr nach der Erntezeit die ersten Fremden, die es hierher verschlägt.«
»Wohnst du hier schon lange?«
»Ich bin auf dem Berg dort hinten aufgewachsen. Mein Mann, Cadan, kümmert sich um den Hof und bestellt unser Land. Jetzt ist er gerade mit den Schafen unterwegs.«
»Du hast also schon hier gewohnt, als Menmas Gehöft niedergebrannt wurde?«
»Warum fragst du danach, Lady?«
»Ich möchte einfach wissen, was damals passiert ist.«
»Viel kann ich dazu nicht sagen. Eines Tages sahen wir Rauch über Menmas Hof aufsteigen. Ich hab meinen Mann gerufen, und er und unser Sohn sind losgerannt, um zu helfen – aber als sie dort ankamen, haben sie bloß noch die Erschlagenen vorgefunden und die rauchenden Trümmer.«
»Du hast Menma sicher gut gekannt, oder?«
»Natürlich.«
»Wer hat denn alles zu seiner Familie gehört?«
»Die war ziemlich groß. Da war Menma, seine Frau und zwei Söhne, die auf dem Gut gearbeitet haben. Sie hatten Getreidefelder in der Ebene unten. Er hatte auch einen Knecht und eine Magd … ach, und da war noch eine Frau. Die war nur als Gast da, muss eine Verwandte gewesen sein. Ihren Namen habe ich vergessen.«
»War an dem Unglückstag sonst noch jemand auf dem Gehöft?«
Sie schüttelte den Kopf. »An dem Tag nicht.«
Fidelma stutzte. »An anderen Tagen aber doch? Gäste oder so?«
»Da war noch ein Krieger. Es hieß, er sei einer von demEóghanacht-Trupp, der für Ordnung sorgen sollte. In den Tagen nach der Niederlage kampierten hier in der Gegend mehrere Krieger von den Eóghanacht. Er war ihr Anführer. Ich habe ihn nur von weitem gesehen, wenn er mit seinen Leuten über die Hügel ritt. Gott sei Dank hat er es nie für nötig befunden, bei uns herumzuschnüffeln.«
»Wer er war, weißt du nicht – seinen Namen, oder wie er aussah?«
»Was soll die ganze Fragerei?«, murmelte die Frau ungeduldig. »Wer bist du eigentlich?«
»Ich bin eine dálaigh , wie ich schon gesagt habe. Ich möchte herausbekommen, was sich auf Menmas Hof abgespielt hat.«
Die Frau schniefte verächtlich. »Ein bisschen spät nach all den Jahren, findest du nicht auch?«
»Und du sagst, nicht ein Einziger hat überlebt?«
»Habe ich das wirklich gesagt?« Es klang ein wenig spöttisch.
»Dann ist also doch jemand am Leben geblieben?« Fidelma ließ nicht locker.
»Die alte Suanach ist mit dem Leben davongekommen. Sie hat von Jugend an immer auf dem Hof gearbeitet.«
»Suanach? Wo könnten wir sie finden?«
»Reitet vorbei an den Ruinen von Menmas rath weiter in den Wald hinein. Sie hat dort eine Bleibe gefunden und führt ein bescheidenes Dasein. Mein Mann und mein Sohn hatten sie mehr tot als lebendig
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