Das Sühneopfer: Historischer Kriminalroman (Schwester Fidelma ermittelt) (German Edition)
vertraut gewesen sein, und er hat sich deswegen so erregt.«
Fidelma war abgespannt und unzufrieden. »Uns bleibt nichts anderes übrig als abzuwarten und darauf zu hoffen, ihn morgen früh befragen zu können.«
»Hast du eigentlich Bruder Cú-Mara während der Abendmahlzeit gesehen?«, fragte Eadulf.
»Nein. Vielleicht hatte er noch mit dem Bibliothekar zu tun. Dass er auch hier ist und im entscheidenden Moment auftauchte, war reines Glück für uns.«
»Die Zufälle häufen sich geradezu.«
Fidelma wurde neugierig. »Erklär mir das mal.«
»Wir finden das Mädchen Aibell, dessen Mutter ausgerechnet den Namen trägt, den der Attentäter geschrien hat. Sie ist zufällig in der Jagdhütte, in der der Mörder sich umzieht. Bruder Cú-Mara macht die lange Reise von der Abtei Ard Fhearta hierher und kommt uns just im rechten Moment zu Hilfe. Bruder Ledbán stammt aus demselben Ort wie das Mädchen und wird ohnmächtig, als der Name Liamuin fällt. Und hat Aibell nicht erwähnt, dass der Vater ihrer Mutter in ein Kloster gegangen ist? Was, wenn der hinfällige Ledbán sogar Liamuins Vater ist?«
Fidelma musste lachen. »Du suchst ja geradezu nach Zufällen.«
»Wer mit einer dálaigh lebt, gewöhnt sich rasch daran, an allem und jedem herumzudeuteln«, erwiderte Eadulf spöttelnd.
Sie schnitt eine freche Grimasse, wurde aber gleich wieder ernst und schalt sich, dass sie trotz der Sorge um ihren Bruder so heiter war. Rasch wechselte sie das Thema. »Der Stallmeister muss ein herzensguter Mensch sein, sich so hingebungsvoll um Bruder Ledbán zu kümmern. Zwischen Leuten, die Pferde pflegen, entwickelt sich oft eine besondere innere Bindung.«
Eadulf verstand das, denn Fidelma hatte zu Pferden eine große Zuneigung; Leute, die sich mit Pferden abgaben, waren ihr sympathisch.
»Das ist zwar schön und gut, aber trotzdem gibt es hier viele Ungereimtheiten«, fuhr sie fort.
»Um die zu ergründen, sollten wir erst einmal ordentlich schlafen«, riet ihr Eadulf und gähnte. »Die vergangene Nacht zwischen Ruinen war nicht gerade erholsam, obendrein noch der Überfall von der Räuberbande. Und auch der Ritt hierher hat uns nicht dazu verholfen, die Zusammenhänge klarer zu begreifen.«
»Du hast recht«, stimmte Fidelma ihm zu, drehte sich auf die Seite und blies die Kerze neben ihrem Bett aus. Gleich darauf war sie eingeschlafen.
Als Fidelma am nächsten Morgen aufstand, war Eadulf bereits angezogen. Sie wusch sich flüchtig Gesicht und Hände und folgte ihm zum Refektorium. Am Eingang zur Halle empfing sie Bruder Cuineáin.
»Würdet ihr mir bitte folgen«, forderte er sie ohne jede Vorrede auf. Man spürte, dass den Verwalter etwas beunruhigte.
Abt Nannid nannte ihnen den Grund, kaum dass sie in seiner Amtsstube waren. »Zu meinem Bedauern muss ich euch mitteilen, dass Bruder Ledbán heute Nacht zur ewigen Ruhe gegangen ist«, verkündete er ernst.
»Er hatte ein hohes Alter«, fügte Bruder Cuineáin eilfertig hinzu. »Die Erinnerung an den tragischen Tod seines Sohnes hat ihn derart aufgewühlt, dass es einfach zu viel für ihn war.«
Fidelma war enttäuscht und hegte zugleich einen Verdacht. »Ist euer Arzt ebenfalls der Ansicht, dass die Todesursache darin zu sehen ist?«, fragte sie unumwunden.
Der Abt blinzelte ein paarmal, bevor er antwortete: »Bruder Ledbán war gebrechlich und …«
»Ich wünsche, dass Bruder Eadulf den Leichnam untersucht«, fiel sie ihm ins Wort.
Verärgert holte der Abt tief Luft. »Ich sehe keinen Grund …«
»Der Grund ist, dass ich eine dálaigh bin und der amtierende Oberste Brehon das verlangt«, erklärte sie mit Nachdruck. »Bruder Ledbán ist mitten in meiner Befragung gestorben.«
Abt Nannid zögerte. »Wenn das Gesetz es verlangt, muss dem Gesetz Folge geleistet werden. Wenngleich ich es seltsam finde, dass du der Aussage unseres Arztes misstraust.«
»Ich habe nicht gesagt, dass ich eurem Arzt misstraue. Ich bin beauftragt, den Mordversuch am König aufzuklären, und bin dem Obersten Brehon gegenüber verantwortlich, dass alle Schritte unternommen werden, die das Gesetz vorschreibt.«
Der Abt blickte zum Verwalter und hob hilflos die Hand. »Führe Bruder Eadulf zur Zelle unseres verstorbenen Bruders.«
Fidelma folgte Eadulf und Bruder Cuineáin durch einige Korridore zwischen hohen Steinmauern. Sie überquerten einen Innenhof und gingen in ein Gebäude neben den Ställen und der Pferdekoppel. In der kleinen Zelle, die sie betraten, war mit Müh und Not
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