Das Sühneopfer: Historischer Kriminalroman (Schwester Fidelma ermittelt) (German Edition)
zu töten, sondern um den während der Schlacht verwundeten Kämpfern zu helfen.«
»Mein armer Sohn«, seufzte der alte Mann. »Als ich hörte, dass er im Schlachtgetümmel bei Cnoc Áine gefallen war, konnte ich das nicht glauben. Er war doch nur dort, um die Verwundeten zu pflegen. Gottes Fluch falle auf den, der ihn niederschlug. Überlebende haben gesagt, das war einer von den Kriegern mit dem Goldenen Halsreif. Der Teufel soll sie alle holen.«
Der Abt beugte sich vor und schüttelte tadelnd den Kopf. »Wir verstehen den Schmerz um deinen Sohn, Bruder Ledbán. Doch wir dürfen die Lehren Christi nicht vergessen, vergebt euren Feinden.« Für den Alten um Verständnis heischend, sah er Fidelma an.
»Wir fühlen mit dir«, versuchte sie den Unglücklichen zu trösten. »Gibt es jemand, der bestätigt hat, dass der Tote dein Sohn war?«
Verwirrt schaute der Greis hoch. »Wie soll ich das verstehen?«
»Allem Anschein nach hat jemand mit dem Namen deines Sohnes Schindluder getrieben«, erklärte der Abt. »Lady Fidelma möchte nur sichergehen, ob dein Sohn wirklich gestorben ist.«
»Ich habe mit eigenen Augen meinen toten Sohn gesehen, als er hergebracht wurde«, sagte der Alte aufgebracht und verbittert.
»Gestattet, dass ich dazu etwas sage«, äußerte sich Bruder Lugna. »Ich habe Bruder Lennán bestens gekannt, wie kaum einen zweiten. Sobald die Nachricht in der Abtei eintraf, er sei einer der Gefallenen, bin ich zum Schlachtfeld geritten, habe ihn unter den Toten ausfindig gemacht und ihn hierher gebracht. Er ist hier bestattet worden.«
»Hat einer von euch eine Erklärung, warum jemand nach Cashel geritten ist und sich als Bruder Lennán aus dieser Abtei ausgegeben hat?«, fragte Fidelma.
»Wie jemand so niederträchtig sein konnte ist schwer vorstellbar«, erwiderte Abt Nannid. Auch die anderen wussten keine Antwort.
»Er hat sich nicht nur erdreistet, das zu tun, er hat auch den Vorwand genutzt, er komme mit einer Botschaft von dir, Vater Abt, um bei meinem Bruder vorgelassen zu werden.« Fidelma versagte fast die Stimme.
Bruder Ledbán schaute sie standhaft an. »Der Mensch hat den Namen meines Sohnes besudelt. Lennán hat sein Leben gegeben, weil er andere heilen wollte, nicht weil er töten wollte.«
»Vielleicht hatte er einen Freund, der sich vorgenommen hatte, ihn wegen einer uns unbekannten Sache zu rächen«, zog Eadulf in Erwägung.
Wieder war es der Abt, der für alle antwortete. »Bruder Sachse, darf ich dich daran erinnern, was Paulus an die Römerschrieb: sed date locum irae scriptum est enim mihi vindictam ego retribuam dicit Dominus. Heißt es da nicht: ›Die Rache ist mein, ich will vergelten, spricht der Herr.‹«
»Das schon, doch ist es eine Lehre, die keinesfalls überall befolgt wird. Selbst unsere Gesetzgebung besagt, dass unter bestimmten Umständen Rachemord entschuldbar ist«, erwiderte Eadulf unbekümmert. »Außerdem bin ich kein Sachse, sondern komme vom Stamm der Angeln.«
Fidelma war über seine Bemerkung wenig erbaut. Sie wusste, dass Eadulf auf einen alten Gesetzestext gestoßen war, als sie den geheimnisvollen Tod von Bruder Donnchadh in Lios Mhór aufklärten. Doch jetzt war nicht der geeignete Zeitpunkt, sich mit dem Abt um die Auslegung von Bibelstellen zu streiten.
»Bruder Eadulfs Überlegung ist nicht von der Hand zu weisen«, erklärte sie. »Fällt euch jemand ein, der mit Bruder Lennán so eng befreundet war, dass er in der Aufwallung seiner Gefühle die Lehren des Neuen Glaubens missachtet haben könnte? Derjenige hat vielleicht geglaubt, er handle, wie das alte Gesetz es erlaubt.«
Während sie diese Frage stellte, beobachtete sie aufmerksam den Alten, doch seine Gesichtszüge zeigten keinerlei Regung. »Niemand hat meinem armen Lennán so nahegestanden wie ich. Kann mir nicht vorstellen, dass überhaupt jemand so etwas macht.«
»Vergessen wir es.« Fidelma seufzte. »Eine letzte Frage noch. Vielleicht hast du eine Erklärung dafür. Als der Mensch, der sich als Bruder Lennán ausgab, mit dem Dolch zustieß, brüllte er einen Namen. Er brüllte ›Rache für Liamuin!‹. Sagt dir das …?«
Sie brach ab, denn der Alte saß reglos da und starrte sie entsetzt an. Leichenblässe überzog sein Gesicht, und die Lippenwurden blutleer. Er verdrehte die Augen und glitt bewusstlos vom Stuhl.
Mit einem Aufschrei kniete sich Bruder Lugna neben ihn, im gleichen Moment war auch Eadulf aufgesprungen und beugte sich über den Greis.
»Er ist
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